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223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

Titel: 223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Autoren: Residenz
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ein paar Schülern abzustellen. Allemal besser, denkt er, als wenn die Juden freie Bahn hätten und sich im Ort und in der näheren Umgebung herumtreiben könnten, gerade so, wie es ihnen passt. Womöglich kämen sie noch auf dumme Gedanken oder gar auf die Idee, stiften zu gehen.
    Irgendwann am Ende dieses ereignisreichen Vormittags wird der Revierinspektor noch eine Telefonverbindung zum Landratsamt Melk herstellen haben lassen. Man sagt ihm von dort Lebensmittelmarken für die Internierten zu, er möge nur täglich den Stand melden, aber es werde schon eine Zeit dauern, bis die Marken auch tatsächlich vor Ort nach Persenbeug gebracht werden können. Franz Winkler weiß, was das für die ersten Tage bedeutet. Wenn er und seine Untergebenen nicht selber von irgendwo Lebensmittel herbeischaffen können, werden ihm die Leute vor Schwäche umfallen, vielleicht sogar verhungern. Er hat in den letzten Tagen mehr als einen Todesmarschtreck durch seinen Rayon wanken gesehen, die Juden kauen sogar Gras und trinken aus Straßenpfützen, um nicht zu verschmachten. Er hätte jetzt gerne seinem Vorgesetzten ausführlich Bericht erstattet und um weitere Befehle ersucht, wie er es als lang gedienter Gendarm und als stellvertretender Postenkommandant gewohnt ist, aber Duchkowitsch hat den Posten längst geräumt und ihn mit der gesamten Verantwortung alleine gelassen. Schlagartig ahnt er, dass der Kommandant vielleicht einen ganz anderen Plan verfolgt als er selbst, und das macht ihm Angst, gehörige Angst.
    Ein paar Häuser vom Gendarmerieposten entfernt ist Klemens Markus gerade dabei, seine Wirtsleute zu fotografieren. Die beiden uralten Leutchen haben ihren Sonntagsstaat angezogen und blicken ernst und feierlich in die Kamera. Das letzte Mal sind sie vor Jahrzahnten anlässlich ihrer Hochzeit gemeinsam fotografiert worden. Dementsprechend dankbar sind sie Klemens Markus, einem 53-jährigen Wiener Flüchtling, und werden ihn daher weiterhin in ihrem Kabinett wohnen lassen. Er bringt dem greisen Paar auch ein bisschen Besuch und Abwechslung ins Haus, denn gelegentlich lassen sich Ortsbewohner, aber auch Bauern aus Gottsdorf und Hofamt Priel von dem Fremden, dem
Zuagrasten
, der seit dem 14. April in Persenbeug festsitzt, porträtieren. Dafür sind die Wirtsleute dankbar, auch wenn ein derart anhänglicher Logiergast vielleicht manchem anderen unangenehm wäre. Aber Klemens Markus verpflegt sich selbst und zahlt für die Unterkunft mit Essbarem, das er einerseits von den Porträtierten, andererseits von einer Persenbeuger Gärtnerei erhält, in der er als Hilfsarbeiter arbeitet. Das ist mehr als manch einquartierter Wehrmachtsunteroffizier oder -offizier im Ort oder in der Umgebung seinen jeweiligen Wirtsleuten zu geben bereit ist. Dafür nimmt man auch seinen leicht böhmakelnden Akzent in Kauf, den der in Nemtschitz im Bezirk Brünn Geborene zwar krampfhaft zu unterdrücken versucht, der aber trotzdem immer wieder durchschlägt. Außerdem hat er unter seinem Bett einen Koffer voller Tauschwaren, von Sockenhaltern und Glühbirnen über Taschenmesser und Radioröhren bis hin zu Strumpfhaltern und kleinen Stücken nach Rosen duftender Seife. Der ehemalige Privatangestellte weiß damit auch durchaus zu handeln, und seine beiden Wirtsleute, mit denen er seit einem Urlaubsaufenthalt, einer Sommerfrische in Persenbeug vor einigen Jahren, bekannt ist, gehen niemals leer aus bei seinen Tauschgeschäften. Die Filme entwickelt Klemens Markus selbst im Kabinett. Ein Fotograf, und dieser Gedanke seiner Gattin hat sich letztlich als richtig erwiesen, wird immer, auch in den schlechtesten Zeiten, gebraucht und schlägt sich schon durch. In den Nächten aber fällt die Tüchtigkeit rasch von ihm ab. Weinend liegt er dann im Bett und beklagt in leisen, flehenden tschechischen Worten das Schicksal seiner Frau und seiner beiden Kinder. Um sie vor dem Bombenkrieg und den anrückenden Russen in Sicherheit zu bringen, hat er sie schon Anfang April am Westbahnhof in einen Zug Richtung Westen gesetzt. Er selbst ist noch einige Tage in Wien geblieben, um die Wohnung in der Gärtnergasse 17/8 in Wien-Landstraße ordentlich zu verrammeln und die wenigen Wertsachen und die besseren Stücke des Hausrates bei vertrauenswürdigen Freunden unterzustellen. Für ein Zusammentreffen der Familie ist das Haus der beiden uralten Leutchen in Persenbeug als Treffpunkt vereinbart. Als Klemens Markus am 14. April 1945 dort ankommt, findet er bei seinen Wirtsleuten
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