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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten
Autoren: Brian D’Amato
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der Hochschule ausgetauscht, sodass es nicht mehr, um ein Beispiel zu nennen, »Dung-Fetisch, Ookaboolakonga-Stamm, 19. Jh.« hieß, sondern: »Dung-Fetisch, Ookaboolakonga-Zivilisation, 19. Jh.« Als bräuchte es bloß fünf Hütten und einen Holzschnitzer, und schon hätte man eine Zivilisation. Die traurige Tatsache ist jedoch, dass Kulturen wie Künstler sind: Nur wenige sind echte Genies. Und von allen genialen Kulturen der Welt scheinen die Maya aus heiterem Himmel aufgetaucht zu sein. Die phonetische Schrift ist nur dreimal erfunden worden: einmal in China, einmal in Mesopotamien und einmal von den Vorfahren der Maya. Die Null wurde nur zweimal entdeckt: einmal in der Nähe des heutigen Pakistan und einmal, und zwar eher, von den Maya. Die Maya waren und sind etwas Besonderes, mehr braucht man nicht zu wissen.
    Aber selbst das ist nicht allzu bekannt. Dafür gibt es wahrscheinlich zwei Gründe. Der erste ist pures Vorurteil. Der zweite ist, dass wohl keine andere Zivilisation – schon gar keine, die das Lesen und Schreiben kannte – jemals so gründlich ausgelöscht wurde.
    Trotzdem gibt es über sechs Millionen Menschen, die Maya-Sprachen sprechen; mehr als die Hälfte davon leben in Guatemala. Und viele von uns wissen noch immer etwas über die alte Zeit.
    Besonders meine Mutter wusste einiges darüber. Trotzdem hatteich nie das Gefühl, an ihr sei irgendetwas bemerkenswert, außer natürlich, dass sie für mich der wichtigste Mensch auf der Welt war. Allerdings gab es da eine Kleinigkeit, die sie mir 1981 während der Regenzeit beibrachte, als ich krank wurde und »im Sterben lag«, wie unser Padre es so charmant ausdrückte.



(2)
    Mittlerweile glaubt man, dass ich Denguefieber bekommen hatte, das damals gefährlicher war als heute. Darüber hinaus litt ich an Lungenblutung und nieste Blut, und man stellte bei mir einen Faktor- VIII -Mangel fest, mit anderen Worten: Hämophilie A. Drei Monate lag ich eingehüllt hinter der Feuerstelle, zählte die hellen roten Fleckchen auf meiner Baumwolldecke und hörte den Hunden zu. Meine Mutter fütterte mich mit Maisbrei und Incaparina, einem Milchersatz. Und in dem leisen Singsang, den wir sprechen, erzählte sie mir Geschichten, manchmal auf Spanisch, manchmal auf Ch’olan. Alle anderen, sogar meine jüngste Schwester, arbeiteten unten im Tiefland auf den fincas . Eines Abends lag ich auf der Seite, versuchte, mich nicht zu erbrechen, und bemerkte eine Baumschnecke, die zu einem feuchten Fleck auf der Betonziegelmauer hinaufkroch. Sie hatte ein blaugrünes Haus, das wie ein Senkblei aussah, und war orange und schwarz gestreift, eine Liguus fasciaticus bourboni , wie ich viel später lernen sollte. Meine Mutter sagte mir, die Schnecke sei mein zweiter chanul , ein »chanul de brujo« , der Vertraute eines Hexenmeisters.
    Alle traditionellen Maya haben ein chanul  – oder ein uay , um das klassische Maya-Wort zu benutzen. Das Uay befindet sich im Allgemeinen außerhalb unseres Körpers, aber es ist auch eine unserer Seelen. Wenn man hungrig ist, wird auch das Uay hungrig, und wenn jemand es tötet, stirbt man. Einige Menschen sind ihren Uays näher als andere, und ganz wenige können ihren Körper verwandeln, sodass er die Gestalt ihres Uays annimmt, und als Tier umherstreifen. Ich hatte schon ein Uay – ein sa’bin-’och , eine Art Igel –, doch meine Mutter meinte, die Schnecke würde genauso wichtig werden, denn sie sei ein ungewöhnliches Uay, selbst wenn sie klein und unscheinbar war.
    Etwa um diese Zeit begann meine Mutter ein Zählspiel mit mir.Zuerst diente es wohl nur dem Zweck, mir die Zahlen beizubringen, aber bald spielten wir es jeden Nachmittag. Sie rollte die Binsenmatte neben meinem Liegeplatz zur Seite und stach mit dem Löffel fünfundzwanzig kleine Löcher so in den Lehmfußboden, dass sie ein Kreuz bildeten. Dann musste ich mir vorstellen, das Kreuz wäre am Himmel und ich selbst würde rücklings auf dem Boden liegen, den Kopf zum derzeitigen Azimut der Sonne im Südosten gewandt:

    Als Nächstes breitete Mutter ein dünnes weißes Tuch über das Kreuz und drückte es ein wenig in jede Vertiefung. Sie zerkaute Tabak und schmierte sich etwas Saft auf die Innenseite ihres linken Oberschenkels. Als ich es lernte, musste ich den Saft auf meinen rechten Oberschenkel schmieren. Dann öffnete sie eine ihrer kostbaren Tupperware-Dosen und nahm ihre grandeza heraus – einen Beutel mit Amuletten, Steinen und anderen Dingen –, schüttete
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