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2.01 Donnerschlag

2.01 Donnerschlag

Titel: 2.01 Donnerschlag
Autoren: Joachim Masannek
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sein. Doch heute war Samstag und morgen sollte ich mit meiner Mutter nach dem Gottesdienst ihre genauso verhexte Schwester besuchen. Deshalb riskierte ich den Hausarrest gern. Es machte mir sogar eine doppelte Freude. Erstens durfte ich dann den ganzen Sonntag allein zuhause verbringen und zweitens war ich jetzt hier: bei meinen Freunden.
    Ja, so nannte ich sie auf jeden Fall: meine Freunde. Obwohl ich doch nicht zu ihnen gehörte. Aber das wollte ich einmal. Und deshalb saß ich, während sie ihre mächtigen Eisbecher zur Feier des Sieges verputzten, zu ihren Füßen auf der dreistufigen, aus Holzbrettern gezimmerten Treppe. Ich leckte genussvoll meine Schoko-Haselnuss-Mango-Minz-Zitronen-Kokosnusskugel, die ich mir von meinem mageren Taschengeld leisten konnte, und war der glücklichste Junge der Welt.
    Ich war ein gleich dreifach glücklicher Junge. Denn der Vater von Marlon und Leon machte nicht nur das beste Eis. Er formte auch die besten ‚Halbdutzend-Geschmäcker-in-einer-Kugel‘-Kugeln, und die waren das Beste, was man sich antun konnte, wenn man den Wilden Kerlen bei ihren Geschichten zuhörte:
    Geschichten über den Dicken Michi, den FC Bayern, über Gonzales, den blassen Vampir, über ein Spiel nur in Unterhosen und immer wieder die Geschichte über die Biestigen Biester .
    Zu denen waren die Kerle vor jetzt fast schon zwei Jahren quer durch Deutschland gefahren. Sie hatten She-Man, ihre Gang und Winusch, den Hauer, kennengelernt. Das war der Opa von Marlon und Leon. Sie hatten sich in die Natternhöhle getraut. Das biestige Stadion, in dem sie im längsten Fußballspiel der Welt ein mehr als verdientes Unentschieden erreichten. Ja, und dadurch behielten sie auch ihren Titel der ‚Wildesten Fußballmannschaft der Welt‘. Zumindest vorübergehend bis zur Revanche. Das hatten ihnen die Biester beim Abschied in Hamm in Westfalen geschworen. Dass sie zu ihnen ins Wilde-Kerle-Land kommen würden. Doch die außer Vanessa coolsten Mädchen der Welt hatten ihren Schwur nicht gehalten. Und so blieben am Ende nur die Geschichten von dem vielleicht aufregendsten Abenteuer, das die Kerle in den drei Jahren seit ihrer Gründung hatten erleben dürfen. Außer natürlich den kaum noch zählbaren Siegen und den noch unzählbareren Toren danach, die diesem Abenteuer folgten. Ja, und diesem wunderbaren Gefühl, wenn sich das Tornetz bei jedem ihrer Treffer auf seine unbeschreibliche Weise schmetterlingsflügel-traumwolken-weich für sie bauschte.
    Ich ertastete mit der Zungenspitze gerade die Stelle an meiner Eiskugel, wo der Geschmack der Minze dem der süßen Kokosnuss wich. Ich sah noch einmal Jojo vor mir, wie er von der Ersatzbank absprang, bevor sie zerbrach. Ich stellte mir vor, wie es hier im Wilde-Kerle-Land gewesen sein musste, als es noch doppelt so viel Kerle gegeben hatte. Da hörte ich ihre Stimmen. Sie klangen fremdartig: so dunkel und rau und dabei so klar. Ja, und das leise Lachen, das sie begleitete, legte sich wie eine furchtlos-verwegene Melodie um diese Stimmen herum. Ich horchte auf. Ich verdrehte den Kopf Richtung Straße und linste durch das Treppengeländer. Da bog die Gruppe der drei Mädchen und fünf Jungen um die Autowerkstatt und hielt direkt auf uns zu. Die Kleinste von ihnen war vielleicht acht – ja, so alt wie ich – und die Ältesten waren schon weit über 15.
    Doch dieser außergewöhnliche Altersunterschied war nicht das einzige Außergewöhnliche an den offensichtlich sehr stolzen Fremden. Trotz ihrer ausgelatschten Turnschuhe und den ausgeblichenen Jeans wirkten sie selbst in den in dunklen Farben leuchtenden T-Shirts und Hemden, als kämen sie von einem anderen Stern. Bis auf einen Jungen mit Mütze trugen alle ganz lange, in verschiedenen Variationen gebundene Rastalocken, und als sie dann vor uns standen, entdeckten wir die Tattoos: Feine, filigrane Ketten aus Punkten verzierten ihre Gesichter und Finger und verstärkten die selbstbewusste ‚Ich-bin-anders-als-ihr-und-deshalb-was-Besseres-Haltung‘ , mit der uns der älteste der fünf Jungen jetzt spöttisch begrüßte.
    „Hallo!“, sagte er, so als würde er uns schon seit Jahren kennen. „Ich heiße Erik und das da sind meine Freunde.“
    Er schwenkte die in einem strengen Pferdeschwanz gebändigten Zöpfe nach rechts und nach links und machte eine bedeutsame Pause. So als erwartete er, dass wir ihn und die anderen auf der Stelle erkannten.
    „Ja, und ich bin April“, sagte das Mädchen, das neben ihm stand, „Eriks
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