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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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sehen. Als erstes fiel ihnen auf, daß eine Fläche von etwa zwei Quadratmetern statt der Grasdecke die nackte Erde zeigte.
    Mitten darauflagen ein kleiner Feldstein und ein Strauß gelber Rosen. Von wem der Blumengruß stammte, wußten sie nicht. Kämmerer tippte auf Granzow.
    Das Verweilen an diesem Ort hatte er sich schwerer vorgestellt, sagte das auch ganz offen, und die Freundin hatte eine Erklärung: »Es hat Ihnen Ruhe und wohl auch Trost gegeben, daß Sie Tilmann nun zu Haus wissen.«
    Sie hatte recht.
    »Merkwürdig«, sagte er, »der Feldstein hier hat die Größe, die Form und fast auch die Farbe von dem Stein, den Bauer Brockmüller damals an den Weg legte, um den Punkt zu markieren, an dem er mit dem Mähdrescher abbiegen mußte.« Und nach einer kleinen Weile fügte er hinzu: »Was Steine manchmal bedeuten können!«
    Einige Kühe waren herangekommen. Es waren Schwarzbunte, alle gut im Futter, und Kämmerer dachte daran, daß sie Gras gefressen hatten von Tilmanns Grab.
    Am nächsten Morgen ging die Reise weiter nach Süden, und es war wie ein Aufholen wollen, war wie der Wunsch, traurige alte Geschichten zu einem Ende zu bringen.
    Spätabends standen sie in München vor Luise Engerts Elternhaus und blickten hinauf zu den beleuchteten Fenstern.
    »Da oben«, sagte sie, »habe ich meine Freundin verraten, um meine Eltern zu retten.«
    Von Verrat konnte nicht die Rede sein, das wußte er, aber er widersprach nicht.
    »Hinter dem zweiten Fenster von links hat er immer gesessen, mein Vater, abends, und aufgearbeitet, was er aus der Kanzlei mit nach Hause genommen hatte. Daß die mit ihren schweren Stiefeln da einfach raufpoltern durften! Was für eine Anmaßung! Und wenig später geht’s wieder los! Nazistiefel, Stasistiefel, ich glaube, der Unterschied ist nicht groß. Mit dem Poltern fängt so was immer an, und dazu passen dann auch ihre Parolen und ihre Paraden.«
    Sie hielten aus, bis hinter den Fenstern das Licht erlosch.

41
    Der Onkel hatte zu ihm gesagt: »Laß dir Zeit mit der Firma! Hast jetzt viel Privates zu tun und mußt dich auch wappnen gegen das, was die Juristen dir anhaben wollen. Hier fängst du erst wieder an, wenn du mit allem durch bist. Ich bin ja Gott sei Dank in einer guten Phase, fühl’ mich gesund. In dieser Jahreszeit ist das eigentlich immer so. Erst der Winter haut mich wieder um.«
    Er hatte das Angebot akzeptiert und sich – sie waren seit zwei Tagen aus München zurück – zunächst den Garten vorgenommen, wo vieles liegengeblieben war. Am Vormittag hatte er den Rasen gemäht. Es hatte gutgetan, draußen zu arbeiten und dabei zu wissen, daß nirgendwo ein Spitzel lauerte.
    Danach gönnte er sich eine Mittagspause, aber um drei Uhr war er wieder draußen, schnitt aus den Rosen, die sich an der Südwand des Hauses empor rankten, die wilden Triebe heraus und richtete mit Hilfe von Stäben und Bast die Stauden auf, die der Wind gebeugt hatte.
    Um fünf Uhr ging er ins Haus und rief Frau Engert an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
»Ich geh’ dauernd in den Heizungskeller«, sagte sie, »steh’ da und starre in die Ecke, in der die Matratze gelegen hat, und denk’ dann. Wir waren ein gutes Team.«
Er lud sie für den nächsten Tag zum Abendessen ein und sagte, auch sein Onkel werde dabei sein. Der nämlich habe erklärt, er wolle endlich die bemerkenswerte Top-Agentin kennenlernen, ohne deren Hilfe sein Neffe sich womöglich ins Verderben gestürzt hätte.
Dann duschte er und zog sich um. Gegen sechs Uhr kam ein Anruf. Es war Hubert Dillinger.
»Herr Kämmerer, ich weiß, Sie haben viel durchgemacht und möchten wahrscheinlich erst mal Abstand gewinnen. Darf ich trotzdem kurz vorbeikommen?«
Nach einem Gespräch mit Fehrkamps Schwiegersohn stand ihm nicht grad der Sinn, aber er wollte den Mann nicht brüskieren, stimmte also zu. Sie verabredeten sich für den Abend.
Dillinger kam allein, sagte, nachdem sie sich zu einem Bier ins Wohnzimmer gesetzt hatten:
»Viele Grüße von meiner Frau. Sie hätte Sie längst mal angerufen, fand aber, daß Sie Ihre Ruhe brauchten. Statt dessen hat sie Kommissar Granzow Blumen mitgegeben, für Tilmanns erstes Grab.«
»Ach, das war sie? Wie nett von ihr! Es war schön, die Rosen da vorzufinden. Herr Dillinger, Sie müssen nicht denken, ich hatte kein Verständnis gehabt für Ihre so plötzliche Zurückhaltung. Sie hatten wahrscheinlich Angst.«
»Das kann man wohl sagen.« Dillinger erzählte von den Drohungen, die er – einmal
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