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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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auf dem Tonband, einmal durchs Telefon – erhalten hatte. »Sie dürfen mir glauben«, fuhr er fort, »die sind uns mächtig in die Knochen gefahren. Wenn wir nicht spuren, hieß es, würden die Kinder von der Schule oder vom Musikunterricht nicht mehr nach Hause kommen.«
»So massiv sind die vorgegangen?«
»Ja, und darum mußten wir uns fügen, brachen auch die Verbindung zu Ihnen ab, denn eine der Forderungen lautete: ›Keinen Kontakt mehr zu Kämmerer!‹ Wir hatten sogar schon Reisevorbereitungen getroffen, wollten die Kinder bei meiner Schwester in Sicherheit bringen, aber der Mann warnte vor jedem derartigen Versuch. Er zählte sogar die Möglichkeiten auf, die wir hatten, und darunter war auch die Adresse meiner Schwester. Es ist wie früher. Sie wissen alles, haben nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Methoden hinübergerettet. Gut, daß es wenigstens mit der HADEX vorbei ist.«
»Wissen Sie, wer Sie bedroht hat?«
»Nein. Ich bin auch sicher, die Stimme war verfälscht. Aber wir sind demnächst bei der Kripo, und da soll dann ein Test gemacht werden. Man hat die Burschen ja fast alle.« Dillinger griff nach der Tasche, die er neben dem Sessel abgestellt hatte, und Kämmerer dachte, er wolle gehen. Doch er nahm das schwarze Stück, das eher ein Beutel war, nur auf, öffnete es, hielt dann aber inne, legte es auf seinen Schoß. »Hier«, sagte er und klopfte leicht gegen das Leder, »ist der eigentliche Grund meines Besuches. Als die Polizei die Wohnung meines Schwiegervaters freigegeben hatte, übernahmen wir seinen Nachlaß. Dazu gehörte auch eine kleine Videothek, vielleicht zwanzig Filme. Ein paar von der DEFA, ein paar amerikanische, sogar einige Western, ›High Noon‹ zum Beispiel und ›Spiel mir das Lied vom Tod‹. Auch der Film über Entebbe war dabei. Gestern abend, ich hatte lange gearbeitet und brauchte einen Ausklang, ging ich die Filme durch und fand einen, den ich noch nicht kannte. Es war ›Die verlorene Ehre der Katharina Blum‹. Ich guckte ihn mir an, und ich gehör’ nun mal nicht zu den Leuten, die auf den Knopf drücken, sobald der Abspann einsetzt, sondern lese jeden einzelnen Namen. Interessiert mich einfach, wer da mitgemacht hat, welche Nationalitäten vertreten sind und so weiter. Kurzum, der Abspann war vorbei, und ich wollte das Band gerade stoppen, da kam noch was.«
Erst jetzt griff er in die Tasche, holte eine Kassette heraus, legte sie auf den Tisch. »Es war ein Vorspann«, fuhr er fort, »wenn auch keiner der üblichen, sondern eine Liste von Dienststellen und danach Registraturnummern, Unterschriften und Stempel. Ja, und dann kam der Film über Ihre Flucht mit dem Mähdrescher.«
»Was?« Kämmerer sprang auf, packte die Kassette, hielt sie mit beiden Händen und starrte sie an.
»Ja«, sagte Dillinger, »mein Schwiegervater muß ihn auf das Band überspielt haben, vielleicht schon vor der Wende, oder er hat, als er in den Westen ging, das Original bei sich gehabt, und es wurde ihm dann zu heiß. Also übertrug er es auf den Böll-Film und vernichtete das Original.«
Noch immer starrte Kämmerer auf die schwarzweiße Hülle, aber endlich blickte er auf, und beinahe hätte er Dillinger nun gefragt. Und? Doch ihm fiel noch rechtzeitig ein, daß der Mann die alles entscheidende Antwort ja gar nicht geben konnte, denn wie sollte er imstande sein, die nachgestellte Flucht von der echten zu unterscheiden?
»Lassen Sie mir den Film hier?« fragte er.
»Ja, natürlich. Meine Frau hat ihn nicht gesehen. Sie weiß nicht mal, daß es ihn gibt, und ich möchte Sie bitten, ihn ihr gegenüber nicht zu erwähnen.«
»Das werd’ ich nicht tun. Verlassen Sie sich darauf.«
»Er war immerhin ihr Vater, und wozu soll man ihr diesen Kummer bereiten.« Dillinger stand auf. »Sie dürfen das Band behalten.«
»Ich danke Ihnen sehr.«
Kämmerer begleitete seinen Gast bis zur Gartenpforte, kehrte ins Haus zurück, setzte sich, nahm die Kassette nicht auf, sah sie nur an, wie man einen Brief ansieht, der eine gute, aber ebenso eine schlechte Nachricht enthalten kann. Er hatte Angst, und um sich schon im voraus gegen eine Enttäuschung zu wappnen, rief er sich in Erinnerung, wie perfekt die Männer der operativen Technik ihr Fälscherhandwerk beherrscht hatten. Denen war ganz sicher kein Fehler unterlaufen!
Doch dann griff er nach einem Rettungsanker. Vielleicht, überlegte er, haben Kopjella, Schmidtbauer, Fehrkamp und Schöller die operative Technik ja gar nicht eingeschaltet,
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