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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Ketten befreien müssen.
    »Fangen wir an!« sagte Kämmerer. »Wie starb mein Junge?«
    »In den Gefängnisakten steht, daß er geflohen ist, aber so war es nicht. Er ist durch einen Schlag von Kopjellas Hand ums Leben gekommen. Natürlich hatte Frank … , hatte Kopjella ihn nicht töten, sondern nur bestrafen wollen. Nein, das ist auch nicht richtig. Er verfolgte, als er zuschlug, gar keine bestimmte Absicht. Es geschah nur, weil der Junge ihn gereizt hatte. Frank Kopjella ist … , war … , er reagierte manchmal zu heftig, fuhr aus der Haut. Na ja, und bei einem der vielen Verhöre sagte Ihr Sohn mal wieder was Abfälliges über unseren Staat, und da …«
    »Was hat er gesagt? Bitte genau!«
    »Eigentlich war es unglaublich naiv, aber auch böse, und dazu kam noch diese merkwürdige Sprechweise, langsam und fast tonlos. Das alles ging Kopjella auf die Nerven. Er verlor die Beherrschung und schlug zu. Mit der Handkante. Glauben Sie mir, es war nicht geplant, aber die Wucht muß furchtbar gewesen sein, denn sie brach den Jungen das Genick.«
    Kämmerer spürte, wie Frau Engert sich ihm zuwandte. Er sah sie an. Ihre Augen schienen ihm zu sagen. Das vor allem war es, was Sie wissen wollten. Nun ist es da. Finden Sie die Kraft, es aufzunehmen! Er nickte ihr zu, und dann fragte er Schmidtbauer noch einmal:
    »Was hat er gesagt?«
    »Es war ungefähr so: ›Wenn ein Staat seinen Bürgern das Denken verbietet, darf er auf keine Landkarte kommen. Die Schulkinder könnten, wenn sie ihren Atlas aufschlagen, sonst ja meinen, es wäre ein Land mit einer richtigen Regierung und mit richtigen Gesetzen.‹ Da riß bei Kopjella der Faden. Ja, und Sie fragen jetzt wohl auch nach meiner Schuld. Die gibt es, das will ich nicht leugnen, aber Kopjella wäre sonst in größte Schwierigkeiten gekommen. Er hätte ein dickes Verfahren an den Hals gekriegt, wenn der Fall so, wie er sich zugetragen hatte, bekannt geworden wäre.«
    »Warum wurde Tilmann immer wieder verhört?« »Weil wir davon ausgingen, daß hinter Ihrer Flucht ein Fall von Gruppenbildung steckte.«
    »Tat es nicht. Was geschah nach Tilmanns Tod?« »Wie gesagt, der Fall durfte nicht bekanntwerden. Wir brachten ihn heimlich aus dem Gefängnis und begruben ihn auf einer Koppel außerhalb von Berlin. Sie werden die Stelle finden. Sie ist genau acht Meter von einem Hochspannungsmast entfernt. Ich zeichne Ihnen die Richtung mit ein. Ja, und dann hieß es eben am nächsten Morgen, der Häftling Tilmann Kämmerer sei in der Nacht geflohen. Die Fahndung lief sofort auf Hochtouren, aber wir beide wußten, daß sie keinen Erfolg haben würde.«
    »Nur Sie beide? Was ist mit Georg Schöller?«
    »Stimmt, Schöller war auch eingeweiht, als einziger außer uns. Wir brauchten ihn, mußten ja an den Wachen vorbei. Schöller fuhr das Auto, während Kopjella und ich, was durch unsere Dienstränge leicht möglich war, die Wärter ablenkten. Sie winkten den Wagen einfach durch. Später sind wir dann zugestiegen und haben den Toten zu dritt beerdigt.«
    »Machen Sie jetzt die Zeichnung!«
    Schmidtbauer schaffte es in wenigen Minuten, und als er fertig war, gab er Kämmerer das Blatt, auf dem, am Gefängnistor beginnend, jede Straße bis hin zur Koppel und auch ein paar markante Gebäude eingetragen waren.
    Kämmerer sah es lange an, starrte auf das neben den Strommast gesetzte Kreuz.
    »Der Film«, sagte er dann.
    »Ja, der Film. Wir brauchten, nicht zuletzt unseren Vorgesetzten gegenüber, ein Ergebnis, zumal wir unmittelbar nach Ihrer Flucht mit dem Mähdrescher einige Personen aus Halle festgenommen hatten, die im Verdacht standen, die Republik ohne Erlaubnis verlassen zu wollen. Bei einem jungen Ehepaar stellten wir sogar einen präparierten Kleinbus sicher. Er war vorn mit einer dicken Stahlplatte verstärkt, und das ergab eine Parallele zu Ihrem Fahrzeug. Wir wollten Namen und dachten, der Junge würde am ehesten reden, wenn man ihm beweisen könnte, daß sein Vater ihn im Stich gelassen hatte. Darum machten wir den Film.«
    »Wer kam auf die Idee?«
    »Vielleicht glauben Sie jetzt, ich will mich rausreden; aber das stimmt nicht. Die Wahrheit ist nun mal, Fehrkamp und Kopjella haben sich das ausgedacht, und sie kriegten auch prompt die Genehmigung dafür.«
    »Haben Sie Tilmann gespielt?«
    »Ja, und Schöller Sie.«
    »Wie hat der Film auf Tilmann gewirkt? Denken Sie gut nach! Es ist für mich von größter Wichtigkeit.«
    »Er wurde ihm mehrmals vorgeführt, aber ich war
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