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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Autoren: Hinrich Matthiesen
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sondern den Film allein hergestellt, und dann könnte durchaus ein Fehler vorhanden sein.
Er ging nach draußen, schritt über den Rasen, immer hin und her.
Oder seh’ ich mir das Machwerk besser nicht an? Die Frage, ob Tilmann es für authentisch gehalten hat, würde nie beantwortet werden. Alles bliebe in der Schwebe und damit vielleicht erträglicher.
Aber plötzlich dachte er genau das Gegenteil, klammerte sich an die Chance, die in dem Film steckte. Kann sein, überlegte er, daß sie meinem Double wirklich die falsche Jacke angezogen haben, und das hatte Tilmann sofort erkannt. Er war ja ein guter Beobachter, stürzte sich, wenn er ein Rätselheft in die Hände bekam, immer zuerst auf die Seite, auf der man Original und Fälschung eines Gemäldes miteinander zu vergleichen hat und dabei die zehn winzigen, versteckt eingebrachten Fehler entdecken soll. Im Nu hatte er sie gefunden. Aber er kreiste die Stellen auf der Fälschung nicht ein, notierte sie nur, damit er es genießen konnte, daß ich mich so sehr abmühen mußte und meistens nach der Hälfte, über die ich schon glücklich war, aufgab.
Er kehrte ins Haus zurück, machte sich einen Kaffee und schob die Kassette ins Videogerät, drückte auf die Schnelltaste der Fernbedienung und spulte den Böll-Film ab. Das dauerte eine ganze Weile. Vielleicht, dachte er, taucht gleich am Anfang ein Fehler auf. Wenn sie nicht von der allerersten Einstellung an den Mähdrescher zeigen, sondern erst mal ein paar Stimmungsbilder, Felder im Abendlicht zum Beispiel, haben sie sich schon entlarvt. Das würde ja ein dramaturgisches Konzept erkennbar machen, und damit wäre die Fälschung bewiesen.
Nach dem Ende des Spielfilms wechselte er über zum Normaltempo. Bis dahin hatte er gestanden. Nun setzte er sich hin.
Ein Vorspann, wenn auch nur kurz und anders als sonst. Nüchterne Schreibmaschinenschrift, Namen und Dienstränge von Sachbearbeitern, Archiv- und Registraturnummern. Ganz deutlich waren die Unterschriften von Kopjella und Fehrkamp zu sehen.
Es ging los, und natürlich hatten sie sich den Fehler, in irgendeiner Weise dramaturgisch vorzugehen, nicht geleistet. Die Szene war sofort da. Der Mähdrescher ratterte auf den im Hintergrund schwach erkennbaren Zaun zu. Plötzlich die Schüsse, hämmernd, die Fahrgeräusche übertönend. Die Treffer. Das Stakkato der gegen das Metall schlagenden Projektile. Und dann kam er, der Moment, der ihn mit Freude und Trost erfüllte! Vor lauter Erregung hatte er während der ersten Sekunden den Fehler übersehen. Er stoppte das Gerät.
Die Stille machte, daß er sich mit aller Sorgfalt, aber auch mit aller Freude erinnern konnte. In Bauer Brockmüllers Scheune hatten Tilmann und er die Seitenwände des Erntefahrzeugs nicht nur verstärkt, sondern auch, und zwar in der Abwärtsrichtung, vergrößert. Das hieß, sie brachten unterhalb der vorhandenen Wände die großflächigen Metallplatten an, die Brockmüller schon lange vor ihrer Ankunft hergestellt und orangefarben angestrichen hatte. Sie maßen etwa drei Meter in der Länge und sechzig Zentimeter in der Höhe. Ihre Montage hatte viel Schweiß gekostet …
Er konnte sich nicht satt sehen. Hier fehlten dem Mähdrescher die zusätzlich angebrachten Platten, die bei dem Original weit nach unten gereicht hatten und hinter denen zwei der im ganzen drei Nischen eingerichtet worden waren.
Verständlich, daß sie hier fehlten. Die Filmemacher hatten ohne Vorlage arbeiten müssen, und den Wachtposten war es bestimmt unmöglich gewesen, auf die Konstruktion des Fahrzeugs zu achten. Sie hatten zu schießen.
Ganz tief spürte er die Freude.
»Schwein!« hatte Tilmann zu Kopjella gesagt, und nun gab es keinen Zweifel mehr, daß er damit ihn, den Verhörmeister, gemeint hatte.
Der Rest des Films war dann ohne jedes Gewicht für ihn. Er belächelte die Figuren. Selbst der vom Heck stürzende Schmidtbauer erreichte ihn nicht, und auch Georg Schöller, dessen Gesicht im Halbdunkel nicht zu erkennen war, von dem er aber wußte, daß er ihn, den Vater und damit den Feigling, zu verkörpern hatte, ließ ihn kalt. Ohne innere Teilnahme sah er, wie der Mann sich zu dem Daliegenden hinabbeugte, wieder aufrichtete und davonlief. Noch immer untermalten die Schüsse das Geschehen, bis das Fahrzeug den Zaun niederwalzte und westwärts entschwand.
Er spulte den Film zurück, hatte, als die Laufgeräusche des Geräts verstummt waren, plötzlich das Bedürfnis, aller Welt von seiner Entdeckung zu erzählen, und
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