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195 - Verloren im Outback

195 - Verloren im Outback

Titel: 195 - Verloren im Outback
Autoren: Stephanie Seidel und Ronald M. Hahn
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bezeichnete Fruchtkörper)
    Weiß und still lag das aufgedeckte Stück Hexenring im Mondschein. Es wirkte vollkommen harmlos; ein zartes Fadennetz eben. Der Kukka’bu senkte den Kopf, wollte es vielleicht wegzupfen, öffnete kurz den Schnabel. Blitzschnell peitschte das Myzel hinein. Es begann sofort zu wachsen.
    Der große Vogel schlug hin und her, während die bleiche Fingerspitze des Hexenrings in ihm ausfaserte, sich verhakte und zu ziehen begann. Unterstützt von der Kraft etlicher Kilometer Wurzelwerk zerrte das Myzel den unglücklichen Kukka’bu durch seinen eigenen Schnabel von innen nach außen.
    Als er verformt auf dem Boden lag, hob es ihn hoch, gestärkt vom frisch gewonnenen Glykogen aus dem Vogelkörper. Ein Ruck, und der Kukka’bu verschwand im Erdreich. Millionen weißer Fäden wuchsen empor. Sie tasteten über die blutverschmierte Stelle, sammelten den letzten Tropfen Flüssigkeit, das letzte Epithelgewebe auf. Dann verschwanden auch sie. Zurück blieben nur Federn. Der Wind trug sie fort.
    Daa’tan bekam davon nichts mit. Seine Halluzination hatte aus dem Mondlicht eine tödliche Bedrohung gemacht.
    Sonnenschein nämlich, der immer stärker und heißer wurde und Würmer wie ihn vertrocknen ließ. Daa’tan glaubte sein Leben zu retten, als er mit beiden Händen in die Erde griff.
    Genau auf den Hexenring.
    Es tat nicht weh, als sich zwei Myzelien in seine Handflächen bohrten. Wie auch? Als Wurm besaß er keine Hände.
    Schnell trieben die fadenförmigen Bestandteile des Pilzes Querstreben aus, mikroskopisch klein und dazu geeignet, an menschlichen Zellen anzudocken. Das wollten sie auch. Doch es gelang ihnen nicht.
    Daa’tans ungewöhnliche DNS warf Zweifel auf: War er tatsächlich ein Glykogenträger – oder eine Pflanze, die anzugreifen nicht lohnte?
    Der Hexenring besaß kein Gehirn und konnte daher keine Entscheidungen treffen. Er hatte allerdings die Fähigkeit, Erfahrungswerte als Erinnerung in seinen Myzelien abzulegen, jenen uralten Zellsträngen rund um Hollow Creek. Die prüfte er jetzt auf vergleichbare Situationen, um deren Ausgang auf das momentane Geschehen zu übertragen.
    Während seiner Suche verharrte der Pilz in Bewegungslosigkeit, was einem bereits gefangenen Kukka’bu die Chance zur Flucht eröffnete. Vielleicht hatte der Vogel weniger Sporen eingeatmet als die anderen, vielleicht war er resistenter, jedenfalls schaffte er es, sich dem Einfluss der psychotropen Substanzen zu entziehen.
    Flatternd versuchte er das Fasergeflecht loszuwerden, das ihm aus dem Hals hing, nahm sogar seine Krallen zu Hilfe. Als es nichts nützte, durchtrennte er es mit dem Schnabel und schluckte den Rest hinunter. Dann machte er seiner Erregung Luft.
    Hätte er zu einer anderen Vogelart gezählt, wäre Daa’tan vermutlich gestorben. Der Neunzehnjährige war so gefangen in seiner Vorstellung, ein Wurm zu sein, dass ihn kein Zwitschern erreichen konnte. Aber Kukka’bus zwitscherten nicht. Sie lachten.
    Hua-ha-haha!, scholl es durch die nächtliche Stille. Der Ruf, der für menschliche Ohren wie Hohngelächter klang, alarmierte die schlafenden Gefährten auf den Dächern ringsum.
    Überall ruckten Köpfe hoch, wurden Federn gesträubt, entstand unruhige Bewegung.
    Im Handumdrehen hallte die Geisterstadt wider vom unheimlichen Lachen des Vogelschwarms. Es zog durch die dunklen Straßen, kam als Echo von den Häusern zurück, berührte das Erdreich und den Hexenring darunter.
    Daa’tan schien verloren zu sein. Er kniete reglos am Boden, vornüber gebeugt, die Handflächen von weißen Pilzsträngen durchbohrt. In seiner Scheinwelt jedoch explodierte ein nie gekanntes Feuerwerk. Da waren Farben, die man hören konnte.
    Worte, die man sah. Alles bewegte sich; unablässig, wie im Zeitraffer treibende Blüten. Und mittendrin die Würmer.
    Komm zu uns!, riefen sie.
    Daa’tan wollte dem Ruf folgen, doch es ging nicht. Etwas Unsichtbares versperrte ihm den Weg. Ein Teil seines Ich schien immun zu sein gegen die Lockungen des Pilzes… als wäre er selbst eine Pflanze!
    Etwas geschah im Hexenring; etwas reagierte auf den unerwarteten Widerstand. Es fühlte sich nach Tod an.
    Geräusche folgten ihm, lautes Lachen.
    Durch die Pilzfasern lief ein Befehl heran, wie fallende Dominosteine. Der Hexenring war früher schon einmal an ein falsches Opfer geraten, ein Wesen mit manipulierten Genen, und es hatte seine Zellen geschädigt. Töten war damals die Rettung gewesen. Töten mit pilzeigenem Hämolysin, einem
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