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Schlussblende

Schlussblende

Titel: Schlussblende
Autoren: Val McDermid
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    Prolog
    M ord ist wie Magie, dachte er. Die Geschicklichkeit seiner Hand hatte das Auge bisher noch immer getäuscht, und dabei sollte es auch bleiben. Er war wie der Postbote, der etwas in den Briefkasten wirft, und später schwören alle Stein und Bein, daß niemand an der Tür gewesen war. Eine Begabung, die ihm eingepflanzt war wie ein Herzschrittmacher. Ohne diese magischen Fähigkeiten wäre er tot gewesen. Oder so gut wie.
    Schon beim ersten Blickkontakt war ihm klar gewesen, daß sie die nächste sein würde. Es war diese spezielle Kombination, die seinen Sinnen signalisierte, daß alles genau zusammenpaßte. Unschuld und Reife, nerzbraunes Haar und tänzelnde Augen. Er hatte sich noch nie geirrt. Ein Instinkt, der ihn am Leben hielt. Oder so gut wie.
    Er merkte, daß ihr Blick auf ihm ruhte, und sofort fing über das Murmeln der Menge hinweg in seinem Kopf der alte Kindervers zu rotieren an:
Nick und Bell klettern schnell einen steilen Fels bergan. Doch auf einmal stolpert Nick, stürzt und bricht sich das Genick. Was wird nun aus der armen Bell?
Die schlichte Melodie schwoll an und überflutete sein Hirn wie eine gewaltige Woge einen Wellenbrecher. Ja, was wurde denn aus Bell? Oh, er wußte, was aus ihr wurde. Das Wissen rotierte in seinem Schädel wie der grausame Kindervers. Aber es war nie genug. Sogar der Umstand, daß die Strafe dem Vergehen exakt gerecht wurde, konnte ihn nicht endgültig versöhnen.
    Darum mußte es immer wieder eine nächste geben. Und da stand er nun, nahm mit lauernden Augen wahr, daß sie ihn mit Blicken verschlang, und las in ihren Augen die Botschaft: »Ich bin dir ganz nahe. Nimm Kontakt auf zu mir, dann werden wir uns bald noch näher sein.« Kein Zweifel, sie las seine Gedanken. Und war doch selbst so durchschaubar. Das Leben hatte ihre Sehnsüchte noch nicht glattgehobelt. Ein wissendes Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel, dann tat sie den ersten Schritt auf der langen, zumindest für ihn so erregenden Expedition zu den Abgründen des Schmerzes. Schmerz war aus seiner Sicht eine der unabdingbaren Begleiterscheinungen.
    Es entging ihm nicht, daß sie kleine Umwege machte. Genau wie er. Neben zielstrebigen, kühnen Schritten aufeinander zu gab es ausweichende, zögernde, für den Fall, daß sie falsch gedeutet hatten, was sie in seinen und er in ihren Augen zu lesen glaubte. Sie wählte die spiralförmige Annäherung, die mit jedem Schritt ein Stück weiter nach innen führt, als bewege sie sich im schraubenförmigen, hier natürlich ins Riesenhafte verzerrten Gehäuse eines Tintenfischs auf ihn zu. Und dabei ruhten ihre Augen unablässig auf ihm, als gäbe es auf ihrem Weg nichts, was sie aufhalten, und niemanden, der sie ablenken konnte. Selbst als sie schon hinter ihm war, spürte er ihren festen Blick im Rücken. Alles war exakt so, wie es sein mußte.
    Ihre Art, auf ihn zuzugehen, verriet ihm viel über sie. Sie wollte die Annäherung auskosten, wollte ihn aus jedem denkbaren Blickwinkel in sich aufnehmen und den Anblick in ihrer Erinnerung speichern, weil sie glaubte, eine solche Gelegenheit werde sich nie wieder ergeben. Hätte sie geahnt, was sie wirklich erwartete, wäre sie auf der Stelle in Ohnmacht gefallen.
    Schließlich führte der enger werdende Orbit sie bis auf Armlänge an ihn heran. Nur die zwei, drei Reihen seiner hartnäckigsten Verehrer trennten sie noch von ihm. Seine Augen verhakten sich mit ihren, er ließ seinen ganzen Charme spielen, bedachte die Umstehenden mit einem höflichen »… ein Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern. Würden Sie mich nun bitte entschuldigen« und ging, als die Menge brav eine Gasse bildete, die letzten Schritte auf sie zu.
    Unsicherheit irrlichterte über ihr Gesicht. Erwartete er, daß sie ihm wie die anderen auswich? Oder sollte … mußte sie im Bannstrahl seiner hypnotisierenden Augen ausharren? Es war kein Wettstreit mit gleichen Waffen, es konnte keiner sein. Er hielt sie mit den Augen fest. »Hallo«, sagte er. »Hast du auch einen Namen?«
    Noch nie war sie so sehr auf Tuchfühlung mit dem Ruhm gewesen, das machte sie sekundenlang sprachlos. Bis sie schließlich »Donna« stammelte. »Donna Doyle.«
    »Was für ein wunderschöner Name«, sagte er mit warmer Stimme und erntete dafür ein Lächeln, das er strahlend erwiderte. Mitunter kam ihm alles zu einfach vor. Menschen hören, was sie hören wollen, besonders, wenn es ihre Träume wahr werden läßt. Mit seinem Lächeln merzte er alles Mißtrauen aus,
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