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186 - Wächter der Stille

186 - Wächter der Stille

Titel: 186 - Wächter der Stille
Autoren: Stephanie Seidel
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war gerade aufgestanden, um an die Steuerung zurückzukehren und den schwitzenden Waldmann abzulösen, da ging ein Ruck durch die Transportqualle, der alles Bewegliche vom Platz warf, Vogler, zum Beispiel. Clarice sah, wie der Bug nach innen kam, mehr als einen Meter tief und in einer Form, als wäre ein gigantischer Hammer an ihm gelandet.
    »Wir werden sterben«, hauchte sie entsetzt. Die Transportqualle musste jeden Moment bersten! Eisiges Pazifikwasser würde sich mit einem Schlag ins Innere ergießen, und der Druck würde alles töten, alles vernichten!
    Clarice beobachtete, wie Quart’ol stolpernd nach vorn hastete, unterwegs noch Vogler auf die Beine half. Dem Marsianer war nichts geschehen, auch sein Druckanzug hatte den Zusammenstoß offenbar unbeschadet überstanden. Doch was nützte das noch?
    Quart’ol erreichte die Steuerung. Normalerweise lagen die Kontaktfelder zur Befehlseingabe eng beisammen, jetzt strebten sie auseinander wie Striche auf einem sich füllenden Luftballon. Es war nicht leicht, die gesuchte Tastenkombination auf Anhieb zu finden, Clarice hielt den Atem an, als die bisherige Blindfahrt endete. Der Quallenbug veränderte sich. Schlieren liefen durch das bionetische Gewebe, ließen die rötliche Einheitsfarbe unterschiedlich verblassen. Einen Moment lang war ein Muster zu erkennen, wie auf einem Tarnanzug. Dann lösten sich die Farben auf, und die Wand wurde zum Panoramafenster.
    Clarice kam an Voglers Seite, tastete nach seiner Hand. Das Hindernis draußen war fast weiß und erheblich größer als die Qualle. Narben durchzogen seine Oberfläche. Konturen waren keine zu erkennen.
    »Bei Phobos und Deimos! Was ist das?«, ächzte Vogler.
    »Ein Waal. Oder eigentlich: sein Kopf.« Quart’ol packte den Marsianer und zog ihn an die Steuerung. »Hör zu, du musst noch einmal meinen Platz einnehmen…«
    »Was, ich? Nein, auf keinen Fall!«
    »Doch«, sagte Quart’ol entschlossen. »Und wir haben keine Zeit für Diskussionen!« Er wies auf den riesigen Meeressäuger, der sich nicht von der Stelle rührte. »Der Schreck hat ihn paralysiert, aber das wird nicht lange anhalten. Wenn er zu sich kommt und immer noch feststeckt, sind wir verloren. Also, Vogler. Du gibst mir jetzt einen Vorsprung, sagen wir, du zählst von Hundert rückwärts, dann drückst du nacheinander diese Zeichen. Sieh genau hin!«
    Quart’ol zeigte dem Marsianer eine Tastenabfolge. Er musste sie wiederholen, weil Voglers Blick dauernd, zu dem weißen Waal abwanderte, der jetzt noch bedrohlicher wirkte als vor Quart’ols Erklärung.
    Der Hydrit nickte seinen Gefährten zu und ging zum Mittelteil der Qualle. Dort blieb er stehen und löste eine bionetische Sicherung. Die Deckenwand zog sich zurück wie schmelzendes Wachs. Eine Schleuse wurde sichtbar.
    »Sag mal, du wirst doch nicht etwa aussteigen, oder?«, fragte Clarice erschrocken.
    »Geht nicht anders.« Quart’ol hangelte sich nach oben. »Ich muss wissen, was da draußen los ist und warum der weiße Riese uns gerammt hat. Er ist entweder blind oder blöd, aber vielleicht kann ich ihn wenigstens überreden, sich vorsichtig zurückzuziehen, statt sich frei zu schütteln und uns quer durch den Ozean zu katapultieren. Normalerweise klappt die Verständigung mit Waalen gut. Es sind intelligente Geschöpfe.« Er grinste. »Na ja – die meisten.«
    Quart’ol verschwand in der Schleuse, Clarice wandte sich ab. Sie trat hinter den Pilotensitz, in dem Vogler saß und auf die Instrumente starrte.
    »Zählst du?«, fragte sie.
    Der Marsianer nickte stumm.
    Clarice legte ihre schlanken Hände auf die Sessellehne.
    Stille breitete sich aus, nichts geschah. Vogler hätte tot sein können, so reglos verharrte er auf seinem Platz. Das Warten wurde unerträglich. Clarice seufzte laut, wackelte mit den Fingern. Keine Reaktion.
    »Du hättest dich mit Quart’ol abstimmen müssen, Vogler!«, platzte sie unvermittelt heraus. »Womöglich zählst du viel zu langsam! Quart’ol kann doch nicht ewig mit dem Waal reden! Wenn ihm etwas zustoßen sollte, wären wir –«
    »Herzlichen Dank, Clarice!«, rief Vogler gereizt, warf sich im Sessel zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Seine Gefährtin hatte ihn aus dem Takt gebracht.
    Clarice bemühte sich um Versöhnung. »Weißt du, Frauen können es nicht ertragen, wenn ihr uns anschweigt. Das ist genetisch bedingt, daran haben wir keine Schuld.«
    Der Marsianer reagierte nicht.
    »Bei welcher Zahl warst du denn, als ich dich
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