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186 - Wächter der Stille

186 - Wächter der Stille

Titel: 186 - Wächter der Stille
Autoren: Stephanie Seidel
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Gilam’esh’gad suchen. Ist das nicht ein erhebendes Gefühl?«
    Quart’ols Gefühl mochte erhebend sein, doch es betrog ihn schmählich. Denn keine fünfhundert Meter über ihm war der Tod unterwegs.
    Sein Tod…
    ***
    Tauchtiefe 1500 Meter
    Ohne erkennbare Eile glitt der Soord’finn dahin, den langen, scharf gezahnten Kopfspeer nach unten gedrückt, die Beine des Reiters an den Flanken. Das Tier war kein zufällig gefangener Wildwuchs: Kampffische der Mar’os-Krieger wurden sorgsam gezüchtet. Nur die stärksten und aggressivsten Exemplare kamen zum Einsatz, alle anderen landeten auf der Speisekarte ihrer Besitzer.
    Agat’ol ließ die Zügel hängen und schmiegte sich an den Fischrücken, um den Widerstand beim Tauchen gering zu halten. Er versuchte erst gar nicht, nach Quart’ols Transportqualle Ausschau zu halten – hier, in fünfzehnhundert Metern Tiefe, war der Pazifik so trübe wie eine Schlammpfütze im Regen. Weiter unten würde sich das bessern. Dort verlief eine konstante Nord-Süd-Strömung, die der Rand des Marianengrabens verursachte. Bis dahin war Agat’ol auf seinen Kampffisch angewiesen.
    Der Mar’osianer wusste, dass er den wilden Instinkten des Tieres vertrauen konnte. Soord’finns waren erstklassige Jäger; sie hatten, ähnlich wie Shaakas und andere Raptoren, einen ausgezeichneten Geruchssinn. Überließ man ihnen eine Materialprobe, folgten sie deren Ursprung so beharrlich wie ein Bluthund.
    Agat’ol hatte wenig Mühe gehabt, ein Gewebestück aus dem Unterbauch der Transportqualle herauszutrennen – neulich, im Hafen von Sydney – um dem Soord’finn eine Spur vorzugeben. Die Qualle wurde nicht bewacht. Dennoch wären ihm die Stadt und ihre Bewohner fast zum Verhängnis geworden. [2]
    Agat’ols Körper schmerzte noch immer von der Flucht durch das düstere Kanalsystem. Soldaten hatten ihn mit Quart’ol verwechselt und beinahe zu Tode gehetzt. Was ihn rettete, war der wagemutige Sprung aus einer Abwasserröhre.
    Zwanzig Meter tief!
    Dass die Jagd nach Gilam’esh’gad kein Spaziergang sein würde, hatte der Mar’os-Krieger von Anfang an gewusst. Er hatte trotzdem nicht einen Moment gezögert, sich dieser Herausforderung zu stellen, denn der Preis rechtfertigte alle Mühen und Qualen.
    Agat’ol lächelte in sich hinein.
    Taran’ea, dachte er mit der ganzen geringen Zärtlichkeit, zu der ein Mar’os-Krieger fähig war. Wenn ich Gilam’esh’gad gefunden habe, werde ich der Mächtigste meines Volkes sein, reich und gefürchtet. Ich mache dich zu meiner Königin, und was immer du haben willst, beschaffe ich dir! Dann kannst du gar nicht anders als mich lieben!
    Ein winziger Zweifel kam auf, während Agat’ol seinen eigenen Worten lauschte. Doch er ließ sich verdrängen. Anders als die Bilder, die den einsamen Krieger verfolgten, seit er Wärme und Nähe gesucht – und das Abenteuer seines Lebens gefunden hatte: Nacht über Augustus Island. Die Korallenbucht, ein geheimes Liebesnest der Mar’os- Anhänger. Mondschein auf den Wellen, nackte Körper, erregende Enge. Der Duft paarungsbereiter Gefährtinnen, ihr Stöhnen, ihre Schreie.
    Stundenlange, hemmungslose Kopulation mit wechselnden Partnern. Wollust pur – so befreiend, so typisch Mar’os. Und mittendrin Agat’ol, der Außenseiter. Der Freak, den niemand haben wollte. Eine Missgeburt mit doppeltem Kamm und ungewöhnlich kräftigem Körper, rot und schwarz gescheckt statt dem üblichen Blaugrün. Hydritische Wissenschaftler vermuteten, dass Agat’ol ursprünglich eine Zwillingsschwangerschaft war und sich der zweite Fötus in ihm aufgelöst hatte.
    Diese Vorstellung erschreckte die ansonsten wenig wählerischen Mar’osianerinnen. Sie lehnten Agat’ol ab, ohne ihn zu kennen, nannten ihn einen Krüppel, mieden seine Nähe.
    Vielleicht ekelten sie sich sogar vor ihm.
    Taran’ea schien eine Ausnahme zu sein. Dieser blau geschuppte Hoffnungsschimmer auf Agat’ols vernarbter, gedemütigter Seele war die Frucht einer verbotenen Liebe zwischen einer Ei’don-Hydritin und einem Mar’osianer, ein Außenseiter wie er. Agat’ol hatte sie in der Nähe von Sumatra kennen gelernt, wo sie gerade nach allen Regeln der Kunst ein Piratenschiff auf die Klippen lockte. Sie hatten die Besatzung gemeinsam gefressen, anschließend ein bisschen herumgeplänkelt und sich dann mit einer Verabredung zur nächsten Vollmondnacht getrennt. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Zumindest für Agat’ol.
    Aber Taran’ea kam nicht nach
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