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186 - Wächter der Stille

186 - Wächter der Stille

Titel: 186 - Wächter der Stille
Autoren: Stephanie Seidel
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noch von einer weiteren Merkwürdigkeit gehört, schenkte ihr aber keine Beachtung, denn hier unten am Meeresboden – im Reich der Hydriten – wurde viel erzählt!
    Man war unter sich, das lockerte die Zunge. Mit der Trennung von Fakten und Fiktion nahm es keiner so genau.
    Nahe der Küste von Australien kursierte allerdings ein Gerücht, das den Mar’os-Krieger heiß erregte. Ein Hydrit namens Hog’tar [3] brüstete sich damit, die beiden Menschen zu kennen, die Agat’ol auf Augustus Island beobachtet hatte.
    Wenn er die Wahrheit sagte, waren sie gar keine! Hog’tar behauptete, sie wären eine Art Himmelswesen – Bewohner eines fremden Planeten. Was immer das sein mochte.
    Agat’ol kannte den Himmel nur als abwechselnd helles und dunkles Dach über seinem Element, dem Wasser. Das Leben am Rande der Gesellschaft hatte ihm wenig Chancen auf intellektuelle Förderung geboten, und so hatte er gelernt, mit Waffen zu brillieren, nicht mit dem Verstand. Agat’ol stellte sich die Ankunft der Fremden als freien Fall aus den Wolken vor. Er nahm an, dass Vogler und Braxton gut trainierte Krieger waren. Wie sonst hätten sie einen derartigen Sturz überleben sollen?
    Aber Krieger waren nicht dafür bekannt, sich ihre Eroberungen ohne Gegenwehr entreißen zu lassen, schon gar nicht, wenn es sich um etwas Einmaliges wie Gilam’esh’gad handelte. Es würde also einen Kampf geben im Marianengraben! Blutig und gnadenlos. Ganz nach Agat’ols Geschmack.
    Ein plötzliches Zittern entlang der Innenseite seiner kräftigen Schenkel holte den Mar’osianer in die Realität zurück. Dem Soord’finn liefen Schauer über die Haut; er wehrte sich gegen die Zügel, begann mit dem Schädel zu wippen. Agat’ol verstand diese Zeichen. Der Kampffisch hatte etwas entdeckt im trüben Dunkel, das seinen Jagdtrieb stimulierte. Aber was? Und noch wichtiger: wo?
    Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Da waren auf einmal Gegenströmungen im Wasser, kräftig, aus verschiedenen Richtungen. Laute erklangen; fremdartig, gedehnt, melodiös.
    Waale!
    Agat’ol griff über die Schulter, zog den Blitzstab. Man sah die sanften Riesen nicht, ihre mächtigen Leiber lösten sich auf in der grauen Lichtlosigkeit des Pazifiks. Der Mar’os-Krieger fand sie trotzdem. Wolken kleiner Lebewesen zogen dahin, die schwach lumineszierten. Sie verschwanden graduell, und wenn man das genau im Blick behielt, konnte man aus der fließenden Verdunkelung den Umriss der Waalkörper ableiten. Agat’ol spürte eine leichte Enge im Hals, auch wenn sein Herz ruhig weiter schlug: Was ihm da entgegen kam, war eine Herde von mindestens zehn ausgewachsenen Tieren.
    Der Kampffisch wollte ausbrechen. Sein Reiter riss ihn mit rücksichtsloser Gewalt zurück in Position. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war Ungehorsam.
    In der Herde befand sich ein Junges, dem Klang der Stimme nach kaum älter als ein paar Wochen. Es hatte anscheinend viel zu erzählen, quiekte und schnalzte unentwegt vor sich hin, während es zwischen den großen Waalen herum schwamm.
    Einmal kam es so nahe vorbei, dass Agat’ol es sehen konnte.
    Es war so klein, so zart! Der Mar’osianer schluckte. Er hatte seit Tagen nichts mehr gegessen.
    Als der Soord’finn endlich ruhig im Wasser stand, glitt Agat’ol von seinem Rücken. Ohne die Zügel loszulassen, trieb er nach vorn und tastete über den langen, eckigen Fischkopf.
    Das Zaumzeug hatte einen Zentralverschluss. Den suchte er.
    Der kleine Waal fühlte sich sicher im Familienverband. Er sang, und man hörte an der variierenden Lautstärke, dass er Kreise zog. Agat’ol überlegte noch, wie er ihn in der Dunkelheit am Besten aufspüren konnte, als plötzlich unerwartete Hilfe erschien. Ein weißer Waal kam aus der Tiefe, gesellte sich zu seinen Gefährten. Er war nichts weiter als ein Stück fahle Helligkeit ohne Konturen, aber die dehnte sich über achtzehn Meter Länge aus – und vor diesem Hintergrund war das Jungtier deutlich erkennbar.
    Agat’ol zog den Kopf des Soord’finn herum, bis das Maul mit dem langen scharfen Knochenschwert genau auf den Babywaal zielte. Dann schlug er auf den Zentralverschluss des Zaumzeugs und klackte: »Töten!«
    Das schwere Geschirr sank herunter, der Kampffisch schoss davon. Er war keine vier Meter lang, winzig im Vergleich zu den Waalen. Man hatte ihn so klein gezüchtet, damit er beherrschbar blieb für seine Reiter, die meist selbst kaum mehr als einen Meter sechzig maßen.
    Doch diese vier Meter
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