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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln
Autoren: Karl May
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Jetzt sah ich auf den ersten Blick, daß sie auf einer sehr gefährlichen Stelle stand. Der Vorsprung, welcher sie trug, hatte viele Risse und schien im Zerbröckeln begriffen zu sein. Das Kapellchen konnte er wohl tragen, ob aber auch eine größere Anzahl Menschen dazu, das schien mir doch zweifelhaft. Als ich den Kysrakdar darauf aufmerksam machte, sagte er, daß er auch schon denselben Gedanken gehabt, sich aber an den gefährlichen Anblick gewöhnt habe. Noch während er diese Antwort aussprach, hörten wir Stimmen jenseits des Spaltes. Wir lugten durch die Büsche und sahen – – – unsere Verfolger erscheinen, den Einsiedler, die beiden Arnauten und noch viele, viele andere, welche sich nachdrängten. Wir konnten hören, was sie sprachen. Wir waren im Irrtum gewesen; sie hatten unsere Spur doch nicht verloren gehabt. Sie wußten, daß wir hier heraufgestiegen waren, und füllten bald die Kapelle und den ganzen Raum vor derselben. Wenn sie uns fanden, waren wir verloren; aber sie sahen uns nicht und steckten aus Wut darüber die Kapelle in Brand. Unter jubelndem Johlen und gotteslästerlichen Ausrufen standen sie nun da, um die Flammen aufzüngeln zu sehen. Da erblickte ich einen dünnen Riß, den ich vorher nicht gesehen hatte, im Felsen, auf dem sie standen; er wurde breiter und breiter – – – der Felsen brach. Ich schrie, meine eigene Lage vergessend, laut auf, um sie zu warnen, aber da starrte ich auch schon ins Leere; der Felsen war verschwunden, mit der Kapelle und allen Menschen, die sich auf demselben befunden hatten. Einen Augenbück später hörten wir es unten in der Tiefe krachen, als ob der ganze Berg zusammenbreche. Der Kysrakdar sprang auf, schlug beide Hände vor das Gesicht und schrie:
    „Mein Vater, mein Vater! Gott hat gerichtet und zwar fürchterlich!“
    Er wollte hinab; ich hielt ihn zurück. Zu retten gab es nichts, denn bei dieser Tiefe waren gewiß alle Menschen, welche sich auf dem Felsen befunden hatten, zerschmettert wie dieser selbst; zu retten hatten wir nur uns selbst, und das konnten wir nur dadurch, daß wir hier oben verborgen blieben.
    Die nun folgenden Stunden können nicht beschrieben werden. Ich sah, was unten vorging. Die ganze Bewohnerschaft der Stadt schien am Fuß der Felswand versammelt zu sein, um die Leichen aus dem Steingetrümmer hervorzuarbeiten. Mein Gefährte befand sich in einem unbeschreiblichen Zustand. Gegen Abend hörten wir eine weibliche Stimme, welche fort und fort seinen Namen rief. Wir antworteten und stiegen dem Schall nach. Es war seine Braut, welche, als sie ihn erblickte, sich krampfhaft schluchzend in seine Arme warf. Erst nach einiger Zeit konnte sie erzählen. Man hatte natürlich geglaubt, daß wir beide auch mit abgestürzt seien. Der Kadi war gekommen, um die Arbeiten zu leiten und die Verunglückten zu rekognoszieren. Viele waren nicht zu erkennen gewesen. Als man auch die beiden Arnauten unter den Trümmern hervorzog, hatte der Beamte sich meines Verdachtes erinnert und ihre Kleider und Taschen durchsuchen lassen. Man fand das Geld bei ihnen; unsere Unschuld war also erwiesen. Dennoch schien es mir nicht geraten, uns sehen zu lassen, da der Fanatismus jedenfalls der Ansicht war, daß wir, wenn auch schuldlos, doch die Ursache des Todes so vieler Leute seien. Auch der Körper des Einsiedlers hatte sich gefunden, aber in einem fürchterlichen Zustand. Der Konsul hatte ihn in sein Haus schaffen lassen.
    Die junge Dame kehrte zurück, um ihren Eltern zu sagen, daß wir gerettet und vollständig unverletzt seien. Als es dunkel geworden war, kam der Konsul selbst, uns zu holen. Wir kamen glücklich und unbeachtet in seiner Wohnung an. Der Kysrakdar wollte vor allen Dingen seinen Vater sehen, und ich ging mit in die Stube, in welcher der Körper lag.
    „Allah partschalamah – Allah zerschmettere dich!“ Das war die so oft wiederholte Verwünschung des Alten gewesen; nun lag er selbst zerschmettert da. Kein Glied seines Körpers war unverletzt geblieben! „Allah wird richten zwischen mir und euch, und zwar noch heute, an diesem Tag!“ hatte er gesagt. Mit welch entsetzlicher Genauigkeit waren diese seine Worte in Erfüllung gegangen! Allah hatte gerichtet! –
    Was weiter geschah? Der ‚Oberste der ganz Strengen‘ wurde am nächsten Abend beim Schein des Mondes begraben – von Katholiken; ein reitender Bote hatte sein Weib herbeigeholt. Der Sohn des von Allah Zerschmetterten ist noch heute Kysrakdar von Malatijeh und hat
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