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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln
Autoren: Karl May
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ihn!“
    Sie wichen alle vor ihm zurück, einige spuckten ihn sogar an, und kehrten ans Ufer zurück. Nur meinem groben Auftreten, dem Vorzeigen meines Tenbih und einer reichlichen Bezahlung hatten wir es zu verdanken, daß uns der Fährmann an das andere Ufer brachte. Er versicherte uns, daß die Fähre gewaschen und durch das Beten von Koransprüchen gereinigt werden müsse, ehe ein gläubiger Moslem dieselbe wieder betreten werde. Der Auftritt war höchst ärgerlich, sollte uns aber später zum Vorteil gereichen.
    Da der Mond am wolkenlosen Himmel stand, bot der nächtliche Ritt gar keine Beschwerden; aber die Helle, welche er verbreitete, hatte zur Folge, daß der Kysrakdar von mehreren Pilgern, welche wir überholten, erkannt wurde. Wir hatten dann immer die üblichen Flüche und Verwünschungen anzuhören; sonst jedoch begegnete uns bis Kaisarijeh nichts Erwähnenswertes.
    Es war am späten Vormittag, als wir diese am Nordfuß des Ardschisch gelegene Stadt erreichten. Sie ist uralt, hieß vorzeiten Mazaca und später Caesarea Eusebia oder Caesarea ad Argaeum montem und ist die berühmteste unter allen Städten, welche den Namen Caesarea führten. Der später hier residierende griechische Metropolit führte den Titel Hypertinorum hypertinus et totius Orientis exarchus. Die Stadt hat sehr enge, schmutzige Straßen, doch sah ich einige gut gebaute Häuser, unter ihnen dasjenige, welches der französische Konsul bewohnte und vor dessen Tür wir natürlich abstiegen.
    Der Kysrakdar hatte mir die Versicherung gegeben, daß ich wie ein alter Bekannter oder guter Freund aufgenommen werden würde, und ich fand das aufs vollkommenste bestätigt. Der Konsul, ein Großhändler, war ein frommer, ernster und dabei höchst wohlwollender Mann, seine Frau eine freundliche, sehr liebenswürdige, aber im Orient unmodern gewordene Dame und die Tochter erstens eine wirkliche Schönheit und zweitens, in Beziehung auf ihr Herz und Gemüt, der reine, wahre Sonnenschein. Es war nicht zu verwundern, daß sie die Seele meines neuen Freundes so ganz und gar für sich gefangengenommen hatte.
    Zunächst mußte natürlich unser gestriges Erlebnis erzählt und ausführlich besprochen und beklagt werden; hierauf speisten wir vorzüglich; und dann mußten wir uns schlafen legen, da wir während der ganzen Nacht unterwegs gewesen waren. Der Kysrakdar legte sich jedenfalls mit fröhlichem Herzen nieder, denn da er nun die zur Bedingung gemachte Anstellung besaß, hatte ihm der Konsul gesagt, daß man noch heute oder morgen den Tag der Hochzeit bestimmen werde.
    Ich schlief schnell ein, wurde aber sehr bald wieder geweckt, und zwar durch einen entsetzlichen Lärm, welche sich vor dem Haus erhob. Es mußte etwas ganz Ungewöhnliches geschehen sein. Ich stand auf, um mich zu erkundigen, und wollte eben zur Tür heraus, als der Konsul hereingestürmt kam und bestürzt ausrief:
    „Sie sind schon wach? Das ist gut! Denken Sie sich, Sie und mein Schwiegersohn sollen verhaftet werden! Draußen stehen die Polizisten mit einer großen Menge Volkes.“
    „Verhaftet? Weshalb?“ fragte ich.
    „Sie sollen heute nacht beim Einsiedler eingebrochen sein und ihn bestohlen und sogar verwundet haben. Er hat gestern viel Geld erhalten, und das hätten Sie ihm abgenommen. Er ist Ihnen hierher gefolgt und hat Sie beim Kadi angezeigt.“
    „So! Das ist ja im höchsten Grad interessant! Erst bringe ich ihm das Geld vierzig geographische Meilen weit her, und dann breche ich bei ihm ein, um es ihm zu stehlen?“
    „Ja, es ist ein Unsinn, aber ein sehr ernster und für Sie höchst gefährlicher Unsinn!“
    „Wieso?“
    „Das fragen Sie, Monsieur? Ja, Sie fußen darauf, daß Sie fremd sind und daß ich Konsul bin! Ich kann Ihre Auslieferung verweigern; das ist richtig; aber bedenken Sie, daß wir uns in der Zeit der Hadsch befinden! Da ist der Mohammedaner unberechenbar. Hunderte von Pilgern befinden sich in der Stadt; sie lagern auf allen Gassen und Plätzen. Wird nun ein einziger, kleiner Funke in diese so leichtentzündliche Masse geworfen, so entsteht ein Brand, dessen Wirkung gar nicht abzusehen ist.“
    „Ich denke, der vierte Teil der hiesigen Bevölkerung besteht aus Christen?“
    „Ja, aber aus armenischen, welche uns wenigen Katholiken feindlicher gesinnt sind als selbst die Mohammedaner. Wie oft haben diese Armenier unsern Gottesdienst gestört, den wir fast im Verborgenen halten müssen; wie oft haben sie gedroht, unsere kleine, arme Kapelle verbrennen
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