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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln
Autoren: Karl May
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mir wurde es doch zu viel. Ich stand auf, schob mich zwischen Vater und Sohn und donnerte den ersteren an:
    „Nun schweig! Denn alles, was du deinem unschuldigen Sohn vorwirfst, muß ich auch auf mich beziehen. Soll ich die Hilfe des Kadi anrufen, welche er mir augenblicklich gewähren muß?“
    Das wirkte. Er wendete sich von seinem Sohn ab, mir zu und antwortete:
    „Ja, ich muß schweigen, denn die Augen des Gerichtes sind mit Blindheit geschlagen; aber Allah wird richten zwischen mir und euch, und zwar noch heute, an diesem Tag. Allah partschalamah – Allah zerschmettere euch!“
    Er ging fort, und zwar gerade zur rechten Zeit, denn der Kadi fühlte sich durch die Worte, daß die Augen des Gerichtes mit Blindheit geschlagen seien, in hohem Grad beleidigt, ließ ihn aber doch gehen, ohne ihn zu bestrafen. Der Beamte hielt es für seine Pflicht, sich zu entschuldigen, daß er uns belästigt hatte, und tat dies in der umständlichen orientalischen Weise, so daß wir wohl erst nach einer Stunde entlassen wurden.
    Während dieser Zeit hatte der Einsiedler sein möglichstes getan, die Menge draußen gegen uns aufzuhetzen. Als wir in den Hof traten, wurden wir mit Verwünschungen empfangen. Wir durften uns nicht durch das vordere Tor wagen; der wüste Lärm, den es da draußen gab, sagte uns deutlich, was uns erwartete. Wir wendeten uns also hinterwärts nach der Tür, durch welche wir hereingekommen waren. Wir erreichten sie auch; aber die gegen uns erbitterten Menschen drängten aus dem Hof nach, und als wir auf die hintere Gasse traten, sahen wir rechts von uns einen Haufen stehen, der uns erwartete und mit wüstem Geschrei auf uns zukam. An seine Spitze befanden sich – meine beiden Arnauten! Nach links war der Weg frei. Wir rannten in dieser Richtung fort, denn es war klar, wir mußten fliehen, wenn wir nicht gelyncht sein wollten.
    „Haltet sie auf, die Ungläubigen, die Verfluchten!“ schrie der Mob, welcher sich hinter uns dreinstürzte. Bald kam uns ein zweiter Haufen entgegen; also bogen wir eilends in eine Seitengasse ein, und so weiter, die Verfolger immer hinterdrein, bis es uns doch einmal gelang, sie irrezuführen. Da blieben wir stehen, um Atem zu schöpfen. Wir befanden uns am südlichen Ende der Stadt, deren Bewohner dem Geschrei nach, welches wir von überallher hörten, alle auf den Beinen zu sein schienen, um uns zu fangen.
    „Ihr könnt unmöglich zurück“, sagte der Konsul. „Steigt hinauf zur Kapelle; dort seid ihr sicher. Ich werde euch benachrichtigen, wenn ihr kommen dürft. Es ist die reine Empörung in der Stadt, und mir bangt um die andern Katholiken. Ich will versuchen, nach Hause zu kommen und sie zu warnen.“
    Wir trennten uns also; ich stieg mit dem Kysrakdar, welcher die Umgebung der Stadt genau kannte, den Berg hinauf, wo wir hinter den dort stehenden Büschen leidliche Deckung fanden.
    Der Ardschisch-Berg, an welchem Kaisarijeh liegt, von den Alten Mons Argaeus genannt, ist ein großartiger, erloschener Vulkan, steil und wild zerklüftet, und steigt mit seinen Kratern und zerrissenen Felsgebilden bis in die Schneeregion hinauf. Es war ein schmaler, steiler, aber gut ausgetretener Pfad, auf welchem mein Begleiter mich aufwärts führte. Um Felsen zu umgehen, mußten wir uns bald nach rechts, bald nach links wenden und standen dann plötzlich vor einem kleinen, hölzernen Bauwerk, welches auf einem kanzelartigen Felsenvorsprung stand. Das war die Kapelle, in welcher die wenigen Katholiken der Stadt ihre Andacht zu verrichten pflegten. Nach vorn und rechts ging es steil in die Tiefe; linker Hand gab es einen Felsenspalt, welcher durch hohes Strauchwerk beinahe verdeckt wurde. Der Kysrakdar steckte die Hand in einen dieser Büsche und zog an einer Schnur, die dort verborgen war. Wie ich sah, hing an derselben ein vielleicht drei Ellen langes Brett, welches er über den Spalt legte. Es bildete eine Brücke, mit deren Hilfe wir hinüberkamen. Er zog das Brett hinter uns her uns sagte:
    „So! Nun kann niemand zu uns herüber, und wir befinden uns in Sicherheit. Nur zwei Menschen kennen dieses Versteck, nämlich ich und meine Braut; die Brettbrücke habe ich mir erdacht und hier war es, wo sie mich in den Wahrheiten der heiligen Religion unterrichtete.“
    Wir setzten uns am Felsenrand nieder. Gerade unter uns lag die Stadt. Wir sahen das ameisenartige Gewühl in den Gassen. Die Aufregung schien sich gesteigert zu haben. Rechts von uns, jenseits des Spaltes, stand die Kapelle.
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