Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
schmutziger und nur in Lappen gekleideter Kerl durch die Felder nach dem Haus, blieb vor mir stehen, sah mich finster und stechend aus seinen triefenden Augen an und sagte dabei kein Wort.
    „Gehörst du in das Haus?“ fragte ich.
    Er nickte, was jedenfalls ja bedeuten sollte.
    „Ist der Mir Alai daheim?“
    Er schüttelte den Kopf, womit er sehr wahrscheinlich Nein sagen wollte.
    „Ich habe mit ihm zu sprechen. Wo befindet er sich?“
    Abermaliges Kopfschütteln. Da drückte ich meine einzige Kugel ab:
    „Ich bringe ihm Geld – viel Geld!“
    Ich hatte einen Kernschuß getan, denn kaum war das Zauberwort Geld erklungen, so rief der Alte mit atemloser und überschnappender Fistelstimme:
    „Geld, viel Geld? Warte, mein Söhnchen, warte nur ein ganz klein wenig, du Liebling Allahs, du Bote der Glückseligkeit! Ich werde den Abdal holen. Er befindet sich in der Stadt, um den Pilgern heilige Reden zu halten. Er ist der Oberste der Sekte der ‚Tschok Keskinler‘ (sehr Strengen, ganz Strengen) und hat mit seinen Ordensbrüdern die Pflicht, die Begeisterung der Gläubigen für die fromme Reise zu erhöhen.“
    Er ging fort – schnell, sehr schnell.
    „Wie lange habe ich noch zu warten?“ konnte ich ihm noch nachrufen.
    „Nur wenige, sehr wenige Minuten“, antwortete er zurück und war dann auch schon verschwunden, so eilig hatte er es. Ja, das Geld ‚macht Beine‘.
    Also der Einsiedler war der Oberste der ganz strengen Mohammedaner. Da hatte ich es mit einem sehr fanatischen Menschen zu tun. Die Freude am Besitz war bei ihm auch nicht geringer als die Frömmigkeit, denn als ich annahm, daß der Bote ungefähr die Stadt erreicht haben werde, sah ich die beiden schon von dort herbeikommen.
    Der Mir Alai mochte fünfundsechzig Jahre zählen, war hoch und stark gebaut, und hatte einen strengen asketischen und dabei kühnen Gesichtsausdruck. Er musterte mich einige Augenblicke und sagte dann:
    „Du bringst Geld? Von wem ist es?“
    „Von Said Kaled Pascha.“
    „Ah, ein Geschenk für meine Ordensbrüder. Gib her!“
    Er hielt mir die Hand hin.
    „Es ist kein Geschenk, sondern etwas anderes.“
    „So sage es!“
    „Nicht hier. Ich möchte diese Angelegenheit nur in deiner Wohnung mit dir besprechen.“
    „Das geht nicht, denn ich laß' keinen fremden Menschen ein.“
    „Das tut mir leid. Ein Bote des Wali von Engyrijeh ist kein Mann, den man wie einen Bettler vor der Pforte abfertigt. Ich gehe also wieder.“
    Ich stieg auf mein Pferd, ohne daß er es hinderte, und fügte noch hinzu:
    „Es betrifft deine Pension, die du nun endlich erhalten sollst. Lebe wohl!“
    „Halt!“ rief er da, indem er mir in die Zügel griff. „Meine Pension? Steig ab und komm herein; ich kann dich nicht fortlassen.“
    Ich stieg scheinbar zögernd wieder ab. Er hatte das Tor mit einigen Griffen, ich weiß nicht wie, geöffnet, trat in den Hof und rief den drei riesigen Hunden, welche da auf der Lauer standen, einige Worte zu, worauf sie sich zurückzogen. Der alte Triefäugige nahm mein Pferd, und ich ging mit seinem Herrn in das Innere des Hauses, welches so ärmlich eingerichtet war, daß es die Bezeichnung Haus eigentlich gar nicht verdiente. Die Stube, in welche wir traten, hatte als einziges Meublement einen alten Teppich, auf den wir uns niederließen.
    Diese Armut kann als Maßstab bei der Berechnung des Entzückens dienen, welches der Einsiedler empfand, als ich ihm einen fünfzehnjährigen Pensionsbetrag nebst Zinseszinsen hinzählte. Er schwamm in Wonne, eilte fort, um seine Frau davon zu benachrichtigen, und kehrte dann zurück, mir zu sagen, daß ich sein Gast sein und mit ihm nach der Stadt gehen müsse, um der Feierlichkeit des Empfanges der einzelnen Pilgerzüge und der Einweihung der heiligen Fahne beizuwohnen.
    Die Fahne war natürlich nicht die berühmte Fahne, welche alljährlich auf einem weißen Kamel nach Mekka geschafft wird, dennoch gelüstete es mich, der Einladung Folge zu leisten; ich sagte also zu.
    Zunächst wurde ich, allerdings in höchst eiliger Weise, mit dem Besten bewirtet, was das Haus bot, Milch und einige Früchte. Dabei behandelte mich der Abdal mit aller Freundlichkeit, die einem solchen Menschenfeind möglich war; daß heißt mit fast gar keiner. Er hatte seine Freude nur einen Augenblick lang sehen lassen; jetzt war er wieder zugeknöpft. Eine eigentliche Unterhaltung gab es nicht, und nun gar von seinem Sohn anfangen, das durfte ich erst recht nicht wagen. Noch nicht halb
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher