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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln
Autoren: Karl May
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konnten.
    „Es Sabbi, es Sabbi – der Verfluchte, der Verfluchte!“ mußte mein beklagenswerter Kamerad bei jedem Zusammentreffen hören. „Speit ihn an; werft ihn mit Steinen; reißt ihn vom Pferd! Allah verdamme ihn; Allah verbrenne ihn; Allah vernichte ihn!“
    Je weiter wir kamen, desto mehr Menschen sahen wir unterwegs und desto fanatischer und aufgeregter schienen sie zu sein. Sie alle wollten nach Kaisarijeh, wo sich, wie ich später sah, die Pilger der ganzen, weiten Umgegend versammelten, um gemeinschaftlich über den Antitaurus zu gehen. Wehe dem Menschen, dem das Unglück begegnet, durch eine unbedachte Handlung oder ein unvorsichtiges Wort die hochgesteigerte religiöse Empfindlichkeit dieser Leute zu verletzen! Wer nicht Mohammedaner ist, hält sich da am besten unsichtbar hinter seinen vier Pfählen, und in Wahrheit sahen wir auch nicht eine einzige Person, welche infolge ihrer Kleidung oder eines sonstigen Zeichens als Christ zu erkennen gewesen wäre.
    Die Pilgerhaufen wurden schließlich so zahlreich, daß ihnen fast nicht mehr auszuweichen war. Sie wollten zunächst alle nach Urumdschili, um die zwischen hier und Kaisarijeh über den reißenden Kizil Irmak führende Seilfähre zu benutzen. Wir sahen keinen einzigen Reiter unter ihnen, ein sicheres Zeichen, daß wir gerade die Hefe vor uns hatten, welche leicht in Gärung zu bringen ist. Höchstens trieb einmal einer ein armseliges Eselein, welches sein noch armseligeres Gepäck tragen mußte, vor sich her.
    Die Mittagszeit war vorüber, als wir das erste bebaute Feld vor uns liegen sahen. Hinter Hecken und Obstbaumgruppen stieg ein dünnes, sonderbar geformtes Ziegelwerk in die Höhe, welches ein Minareh vorstellen sollte. Wir waren in der Nähe von Urumdschili angekommen.
    Rechts von uns, vielleicht zwei Kilometer von der Stadt, sah ich eine Gruppe von mehreren Eichen der großfrüchtigen kleinasiatischen Art. Unter denselben stand neben Oliven- und Maulbeerbäumen ein Häuschen, welches rundum von einer Mauer umgeben war. Noch weiter zurück war der Horizont, jedenfalls von einem Wald, dunkel gefärbt. Der Kysrakdar deutete auf das Haus und sagte:
    „Dort wohnt mein Vater, der Einsiedler. Du kannst zwischen den Tabak- und Safranfeldern hindurch leicht hinkommen. Sollte ausnahmsweise das Tor offen sein, so hüte dich, in den Hof zu gehen. Die Hunde würden dich zerreißen. Klopfe auf das Becken neben dem Tor!“
    „Gut! Wo bleibst du einstweilen?“
    „Ich reite nach dem Wald, welchen du dort hinten liegen siehst. Brauchst du mich während des Nachmittags, so hole mich; ich werde dich kommen sehen. Im andern Fall nehme ich an, daß du als Gast diese Nacht beim Vater bleibst, und werde mich dir schon bemerklich machen.“
    „Du hast nichts zu essen und gehst nicht nach der Stadt. Da wirst du hungern müssen.“
    „Ich würde zu meiner Braut reiten, wenn die Stadt nicht voller Pilger wäre, welche mich beschimpfen würden. Wenn es Abend ist, darf ich es eher wagen. Hungern werde ich nicht, denn auf den Feldern wachsen Melonen genug, an denen ich mich sättigen kann. Gott gebe dir Glück zu deinem Vorhaben und lasse es gelingen!“
    Er drückte mir die Hand und ritt in der Richtung nach dem Wald davon; ich lenkte mein Tier zwischen die Felder hinein, um nach dem Haus zu gehen.
    Es lag einsam in der heißen Sonnenglut; die Baumkronen, welche über die Mauer blickten, ließen ihre Blätter hängen. Diese Mauer war sehr dick und sehr hoch. In der vorderen Seite befand sich ein hölzernes Tor, welches verschlossen war. Neben demselben hing ein kleines Metallbecken mit einem Hammer! Ich klopfte, und sofort erhob sich jenseits der Mauer ein mehrstimmiges, satanisches Hundegeheul, welches wohl fünf Minuten anhielt und dann auf eine zurufende Menschenstimme verstummte. Dann fragte dieselbe Stimme, es war eine weibliche, am Tor nach meinem Begehr.
    „Ist Osman Bei, der ehemalige Mir Alai, daheim?“ antwortete ich.
    „Wer bist du?“
    „Ein Bote seines Freundes Said Kaled Pascha, des Wali von Engyrijeh.“
    „Warte!“
    Ich stieg vom Pferd und wartete; es verging eine halbe Stunde. Ich setzte mich in das wuchernde Gras und Unkraut neben dem Tor, und es verging noch eine halbe Stunde. Ich schellte wieder. Dasselbe Hundegeheul und dann dieselbe Stimme:
    „Wer ist draußen?“
    „Noch immer der Bote des Wali!“
    „Warte!“
    Ich setzte mich wieder nieder und wartete eine Stunde, zwei, drei volle Stunden. Da kam ein uralter, gebeugter,
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