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179 - Gefangene der Traumzeit

179 - Gefangene der Traumzeit

Titel: 179 - Gefangene der Traumzeit
Autoren: Ronald M. Hahn
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des Schlangenmonstrums bohrte, riss die Kriegerin von den Dreizehn Inseln das rechte Bein hoch und trat zu.
    Beim Versuch, Aruula zu beißen, büßte die Schlange einen ihrer gebogenen Giftzähne ein. Sie warf den Schädel zur Seite.
    Aruula reagierte blitzschnell. Sie fegte herum und hackte die Klinge in den Hinterkopf der Schlange.
    Aus der Wunde, die sie schlug, spritzte hellrotes Blut. Sie hörte das Brechen des Schädelknochens.
    Die Schlange entrollte sich. Yngves schlaffer Leib fiel mit einem scheußlich feuchten Geräusch zu Boden. Aruula hörte ihren Freund grässlich stöhnen. Für einen Moment war sie abgelenkt – und das rächte sich im nächsten Moment.
    Die Schlange war angeschlagen, aber offenbar nicht tödlich getroffen. Ihr Schädel zuckte herum, traf Aruula an der Schulter und schleuderte sie zur Seite.
    Die Spitze ihres Schwertes traf auf einen Felsbrocken. Die Waffe wurde ihr aus der Hand geprellt.
    Aruula stieß einen Entsetzensschrei aus, als sie haltlos stürzte. Ihr Kinn schlug auf etwas Hartes. Vor ihren Augen blitzten Sterne, doch das Wissen, dass die Riesenschlange sie jetzt nur in den Nacken zu beißen brauchte, um sie zu töten, verlieh ihr ungeahnte Kräfte.
    Aruula drückte sich vom Boden hoch. Ihr verschwommener Blick erkannte, wogegen ihr Kinn geschlagen war. Ihre Hände packten das Gewehr, das Yngve verloren hatte. Sie rollte sich herum und hob die Waffe – genau in dem Moment, in dem das aufgerissene Schlangenmaul auf sie zu zuckte.
    Der halbe Gewehrlauf schob sich in den Rachen des Ungeheuers.
    Kalte grüne Augen stierten Aruula an.
    »Stirb!«
    Das Gewehr krachte. Fleischfetzen flogen Aruula um die Ohren. Eine Flut heißen Blutes klatschte ihr ins Gesicht. Sie machte geistesgegenwärtig eine Rolle seitwärts. Der Kadaver der kopflosen Bestie landete mit einem Klatschen dort, wo sie gerade noch gelegen hatte.
    Aruula hörte Yngve stöhnen. Sie richtete sich auf. Ihr Arm schmerzte, ihre Knie zitterten. »Yngve, mein Freund!«, rief sie leise. »Wo bist du?«
    Sie rappelte sich auf, noch immer nicht ganz bei Sinnen, und kroch auf allen Vieren über den dampfenden Kadaver der Schlange hinweg.
    Dann fand sie Yngve. Das Reptil hatte ihn grausam zugerichtet, aber er lebte noch. Offene Brüche ließen seinen Körper an vielen Stellen bluten. Aruula kamen die Tränen, als sie sein Gesicht streichelte. Es wirkte im Dämmerlicht so grün wie bleiches Gras, und da er rätselhafte Worte murmelte, nahm sie an, dass die Schlange ihn gebissen und ihr Gift in seinem Körper verspritzt hatte.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte er. »Ich weiß nicht, was sie mit dir machen, wenn du allein nach Hause kommst, Ragnild, aber ich werde an Wudans Tafel gerufen.« Er schaute sie an und wirkte ganz friedlich. »Gib mir einen Kuss und sag deiner Mutter, dass ich sie gern zum Weib genommen hätte, wenn der König mich nicht zum Narren gemacht hätte.«
    Aruula hauchte ihm einen Kuss auf die Augenlider. Dann sagte Yngve: »Es tut jetzt nicht mehr weh. Ich glaube, ich kann allein über die Brücke gehen. Und wenn ich drüben bin, warte ich auf dich…«
    Dann schloss er die Augen und ging.
    Aruula legte seinen Kopf auf ihren Schoß und weinte die ganze Nacht. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie schon längst hätte weinen sollen. Es war nicht gut, wenn man das Leid der Welt mit sich herumschleppte. Tränen reinigen die Seele.
    Als das Grau des Morgens der Helligkeit wich und drei schwarze Silhouetten sich aus der steinigen Landschaft lösten, war Aruula so erschöpft und ausgezehrt, dass sie sie für Halluzinationen hielt, bevor sie zusammenbrach.
    ***
    Durst ist schlimmer als Heimweh. Für einen unter Angehörigen eines Wandernden Volkes aufgewachsenen Menschen war Heimat ein relativer Begriff.
    In den dreißig Jahren ihrer Existenz hatte Aruula einen riesigen Teil der bekannten Welt gesehen. Manche Gegenden hatten ihr gefallen, weil die Menschen ihr gefallen hatten. In andere wollte sie, wenn möglich, keinen Fuß mehr setzen.
    Noch andere Gegenden – es waren wenige – hätte sie gern verflucht, wenn sie die dazu nötige Gabe besessen hätte.
    Richtiges Heimatgefühl kannte sie eigentlich nicht. Sie knüpfte Heimat an bestimmte Menschen.
    Jetzt aber hatte sie Durst – ganz besonders in dem Moment, als sie aus der Bewusstlosigkeit erwachte. Sie hätte Glückseligkeit empfunden, wenn jemand gekommen wäre, um ihr einen Fingerhut voll Wasser zu geben. Ihre Zunge war knochentrocken und so geschwollen,
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