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172,3 (German Edition)

172,3 (German Edition)

Titel: 172,3 (German Edition)
Autoren: Vincent Voss
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liefen an ihm vorbei. David riss an der Fahrertür.
»Ganz ruhig, Junge!«
Ein Polizeibeamter war auf der Beifahrerseite ausgestiegen und sicherte die Straße mit gezogener und angelegter Dienstwaffe. Seine routinierte Ausstrahlung, der Klang seiner Stimme, seine Anwesenheit beruhigten Daniela und David und sie sahen sich um. Im Scheinwerferlicht und im rieselnden Schnee sahen sie, nur ein paar Meter hinter sich, Hunderte – wenn nicht Tausende – toter Fliegen, die als Kontrast auf der weißen Schneedecke lagen. Ihr Verfolger, die Gestalt, war verschwunden.
*
»Baal-Zebub!«
Viktor beendete seine Anrufung, blickte mit klopfendem Herzen in den dunklen Nachthimmel und wartete. Ein Windzug fuhr über jene Stelle am Taschensee, an welche er vor einem halben Jahr mit Larissa einem Ausflug gemacht und beschlossen hatte, abzunehmen. Die Fackeln und Kerzen, die er in einem Kreis um sich herum aufgestellt und angezündet hatte, flackerten. Er saß in der Mitte des Kreises. Ein Messer, eine Plastiktüte und mehrere McDonalds-Tüten standen oder lagen um ihn herum. Einen Zettel hielt er auf seinen Knien in den Händen.
Er sah sich um, ob der Kreis aus aufgeschlagenen Eiern um ihn lückenlos war. Eier bedeuteten Schutz. Sie nahmen das Böse in sich auf und wehrten es ab, hatte er in dem Anhang herausgelesen, den ihm Beate überlassen hatte. Er atmete laut aus, befreite sich von dem Druck, den ihm die Situation, seine Hoffnung, bereitete. Vielleicht die letzte Hoffnung. Er hatte hier oben keinen Handyempfang und auf der Fahrt weder Daniela noch Larissa erreichen können. Aber sein Gefühl – fast würde er sagen, sein Herz – sagte ihm, dass sie in großer Gefahr waren. In Lebensgefahr. Diese Erkenntnis schnürte ihm jedes Mal, wenn er sich daran erinnerte, die Kehle zu und ließ ihn schwer atmen.
›Du musst ihm das geben, was du dir gewünscht hast‹, erinnerte er sich an Beates Brief, zog die McDonalds-Tüten heran und griff hinein. Er öffnete die erste Pappschachtel, nahm einen McRib hinaus, biss hinein und kaute langsam. Er wusste nicht, wie viel Zeit er haben würde. Er wusste nicht, ob das, was er tat, das Richtige war und Lösung versprach. Aber er wollte gewissenhaft sein.
Sonderbarerweise sah er, während er aß, Bilder aus seiner Vergangenheit vor seinem inneren Auge. Gemeinsame Ausflüge, Familienszenen, in denen Daniela als kleines Baby, Kind und Jugendliche auftauchte, und er wurde sich über den Wert dessen bewusst, was auf dem Spiel stand. Sein ersten Treffen mit Larissa und die Klarheit darüber, dass sie sein Mädchen war, im ersten Moment ihrer Begegnung. War das nicht komisch? Er leckte sich die Finger ab, zog die Plastiktüte heran, wühlte darin herum und zog zwei Wiener Würstchen hervor. Zusätzlich nahm er sich einen Cheeseburger, einen weiteren McRib und einen BicMac. Vom BicMac nahm er die obere Scheibe Brot ab und warf sie in die Dunkelheit. Er musste viel Gewicht essen. Dichte, komprimierte, schwere Sachen. Das weiche Brot schien ihm dafür ungeeignet. Er biss in das Würstchen von seinem Lieblingsschlachter, bei dem er damals, mit 172,3 kg, noch täglich Gast war, kaute sorgfältig, schluckte und biss vom Cheeseburger ab. Fleisch. Fleisch, schien ihm am geeignetsten. Vielleicht waren Burger auch gar nicht so gut, aber er wusste aus seiner Zeit der Maßlosigkeit, dass er Burger am einfachsten in Unmengen essen konnte. Burger und Grillgut. Aber zum Grillen hatte er zu wenig Vorbereitungszeit gehabt. Wo geht das Gewicht eigentlich hin, wenn man abnimmt? Er lachte trocken auf und musste aufpassen, dass er sich nicht verschluckte. Jetzt wusste er um die Antwort seiner Frage. Na, Viktor, damit hast du nicht gerechnet, oder? Bedächtig kauend nickte er seiner inneren Stimme bestätigend zu und griff nach den selbstgemachten Frikadellen und den gewürzten und fertig gebratenen Grillbauchscheiben seines Fleischers. Er nahm zwischendurch einen kleinen Schluck Wasser und legte sich einen weiteren McRib und einen McChicken bereit. Er horchte in sich hinein. Keine Anzeichen einer Sättigung und er hatte schon einiges gegessen. Wenn er aber überlegte, was er zum Essen noch dabei hatte, dann konnte er gar nicht alles aufessen. Es war unvorstellbar. Wahrscheinlich musste man sich vorher übergeben, aber nach Beates These musste er alles zurückgeben und noch ein wenig mehr. Wie sollte er an einem Abend über 20 kg zunehmen? Das schien ihm unmöglich, aber welche Chance hatte er sonst?
Die Grillbauchscheiben
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