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158 - Orguudoos Brut

158 - Orguudoos Brut

Titel: 158 - Orguudoos Brut
Autoren: Stephanie Seidel
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brauchte man auch dort nicht ständig nach vorn zu blicken: in den Weiten der Steppe waren Hindernisse selten.
    Aruula vermummte sich so gut wie möglich, um dem schneidenden Wind zu entgehen. Vor ihren Gedanken freilich gab es keine Flucht.
    Leere Hände! Glaube, Werte, Lebenseinstellung… alles, was diese Kriegerin vom Volk der Dreizehn Inseln ursprünglich definiert hatte, war ihr damals an der Absturzstelle in den Alpen wie Sand durch die Finger geronnen. Unaufhaltsam; unwiederbringlich. Und Aruula hatte es zugelassen – um frei zu sein für den Mann, der vom Himmel fiel. [1] Nun hatten die Götter Maddrax ein zweites Mal in die Tiefe gestürzt. Diesmal aber nicht in ihre Arme, sondern in den Tod.
    Nie wieder würde sie seine Wärme spüren, auf ihrer Haut, in ihrem Herzen. Seine Stimme war verhallt; diese sanfte, dunkle Stimme, die so komische Sachen sagen konnte wie: »Ladies 'n' gentlemen – Elvis has left the building!« und einen zum Lachen brachte, wenn man weinen wollte.
    Es war Rulfan gewesen, der Aruula kurz nach der Bombenexplosion die Nachricht überbracht hatte, dass Maddrax nicht mehr zurückkehren konnte. Zumindest nicht lebend. Rulfan hatte gesagt, sein Schiff hätte etwas verloren, das für eine Landung unabdingbar war.
    Aruula lächelte traurig bei der Erinnerung an ihre Reaktion.
    Ich werde finden, was er verloren hat!, hatte sie dem Freund zugerufen und sich sofort auf ihre Androne geschwungen.
    Beim brennenden Felsen, wo sich alles finden lässt! [2]
    Inzwischen war Aruula klar geworden, dass es gar nichts nützen würde, etwas zu finden. Das Raumschiff war zum Himmel aufgestiegen und befand sich irgendwo zwischen den Sternen. Da kam man nicht hin, selbst wenn man noch so tapfer war und Maddrax noch so liebte. Keine Sehnsucht der Welt brachte einen da hoch, und kein Gebet hatte geholfen.
    Aruula fühlte sich von den Göttern betrogen. Sie hatte ihnen stets Respekt erwiesen, selten etwas Falsches getan, und dennoch stand sie mit leeren Händen da.
    Das Wispern der Schneeflocken hörte auf. Die Barbarin merkte es nicht. Sie fand keinen Trost, und so hatte sie sich einen Moment zusammen gekrümmt, tief über den Rücken der Flugandrone.
    Aruulas Augen waren müde und rot gerändert. In ihren Ohren hallte noch das Echo von Maddrax' Stimme, nur darauf lauschte sie, und deshalb entging ihr das Warnzeichen der Natur: die Stille vor dem Sturm.
    Er brach so unvermittelt los, dass er Aruula um ein Haar aus dem Sattel gefegt hätte.
    »Meerdu!«, presste sie zwischen den Zähnen hervor, als ein jäher, harter Stoß unter die Flügel der Androne fuhr und das Rieseninsekt zur Seite kippte. Aruula verlagerte eilends ihr Gewicht und nahm die Zügel auf. Kummer und trübe Gedanken waren wie weggewischt – der Hunger nach Leben hatte die schlafende Kämpfernatur in ihr geweckt.
    Das Wetter verschlechterte sich im Sekundentakt. Aruula konzentrierte sich darauf, den Trudelflug der Androne abzufangen und zu landen. Heulende Böen fegten heran, die das zunehmende Schneegestöber verwirbelten. Sie kamen aus wechselnden Richtungen. Man hörte sie, bevor sie eintrafen, doch ihr Ursprung ließ sich nie ausmachen, und das verlieh diesen Stimmen im Wind etwas Dämonisches.
    »Ihr kriegt mich nicht! So nicht!«, schrie Aruula den entfesselten Elementen entgegen, als ein neuerlicher Stoß das Rieseninsekt um die Längsachse drehte und seine Reiterin ins Leere warf. Ein paar schreckliche Sekunden hing Aruula nur noch mit verkrallten Fingern am Sattelrand, ohne jede Möglichkeit, auf die Androne einzuwirken. Glücklicherweise kam das Tier aus eigenem Antrieb wieder herum.
    Aruula setzte sich auf, presste die Schenkel zusammen und wischte die nassen Haare aus der Stirn. Ihr Atem flog, während sie die verhedderten Zügel entwirrte und im Sturm nach Orientierung suchte. Doch da war nichts, schlichtweg nichts – kein Himmel, kein Boden, und nichts dazwischen. Nur diese unglaublichen Massen an Schnee, die der Wind mit brutaler Gewalt in Aruulas Gesicht peitschte. Sie blinzelte, um ihre Augen vor dem Angriff der Eisnadeln zu schützen.
    Einen Moment lang tauchte im Gestöber ein riesiger Schatten auf. Gleich darauf war er wieder verschwunden.
    Runter!, dachte die Barbarin erschrocken und stieß ihre Hacken in den gepanzerten Andronenleib. Sofort!
    Flugandronen sind von Natur aus keine nervenstarken Tiere, und diese hier war durch die Bombenexplosion am Kratersee zudem traumatisiert. Hunger, Kälte und die Anstrengungen der
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