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158 - Orguudoos Brut

158 - Orguudoos Brut

Titel: 158 - Orguudoos Brut
Autoren: Stephanie Seidel
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Stiefeln entströmte. Narayan, Lamak und Rai blickten mit unbeweglicher Miene zu ihm auf, als er das wärmende Feuer erreichte. Eine Beule prangte auf seiner Stirn, dick und rot. Am Kratersee hätte er dafür Hämegelächter geerntet und im Gegenzug ordentlich Prügel verteilt – was bei den Schmalaugen, wie Jem'shiin die Saikhan insgeheim nannte, nie geschehen würde. Es waren Asiaten, und die zeigten selten Gefühle.
    »Hast du das Kamshaa beruhigt?«, erkundigte sich Chengai vom verhängten Fenster her. Ein Nukkoleder, auf Holz gespannt, hielt Schnee und gröbste Kälte ab. An den Rändern aber pfiff der Wind herein, und man konnte einen Blick auf die Steppe werfen. Das tat der junge Saikhan, und zwar mit ernster Miene.
    »Is was?«, fragte Jem'shiin statt einer Antwort.
    Chengai schüttelte den Kopf. »Ich hatte etwas gesehen«, sagte er nur.
    Natürlich hast du was gesehen! Du bist ja nicht blind, dachte Jem'shiin verärgert. Er lebte schon mehr als zwei Jahre unter Nomaden, sprach ihre Sprache und kam im Großen und Ganzen mit den Schmalaugen zurecht. Nur dieses aufgeblasene Kalter-Krieger-Getue konnte er nicht leiden! Wenn Chengai sagte, er hätte was gesehen, dann hieß das übersetzt: Draußen schleicht einer herum. Ich weiß noch nicht, wer oder was es ist, und weil ich auf keinen Fall möchte, dass mich jemand für besorgt oder gar ängstlich hält, sage ich erst mehr, wenn ich Genaues weiß!
    Der hünenhafte Russe pellte sich aus der Jacke, warf sie beiseite und ließ sich ächzend auf dem Lager am Herd nieder.
    Es bestand aus aufgeschüttetem Stroh mit ein paar Decken darüber, und es bot Platz für die vier Saikhan und ihn.
    Jem'shiin langte nach seinem Bein und machte sich daran, den Stiefel auszuziehen. Für Frauen war kein Platz am Feuer.
    Wozu auch? Sie sollen ja das Essen vorbereiten und nicht faul herumsitzen! Jem'shiin nickte versonnen. Das war das wirklich Gute an diesen schmaläugigen, dünnen Steppenkerlen: ihre Frauen! Sie hatten zwar kaum nennenswerte Brüste, aber sie redeten nur, wenn sie gefragt wurden, und hielten immer schön die Hütte in Ordnung.
    Da waren russische Frauen ganz anders! Jem'shiin seufzte laut und erleichtert, als sein Stiefel endlich herunter glitt. Ein schmutziger Fuß kam zum Vorschein, und es roch nach ranzigem Nukko-Käse. Jem'shiin ergriff das andere Bein.
    Russische Frauen waren der Grund gewesen, weshalb er den Kratersee damals verlassen musste. Er grinste breit. Was hätte ich tun sollen? Sie sind warm und weich und willig! Und sie können Sachen machen, dass man Sterne sieht – selbst in der dunkelsten Hütte!
    Jem'shiins Grinsen wurde schal, als ihm seine letzten Sterne einfielen. Sie stammten von einem Knüppel.
    Polternd flog auch der zweite Stiefel in die Ecke. Sein Besitzer grunzte zufrieden, streckte die Füße dem Feuer entgegen und wackelte mit den feuchten Zehen. Ja, so ließ es sich aushalten!
    »Wo bleibt eigentlich das Essen?«, fragte er, und seine freundlichen hellen Augen suchten voller Hoffnung nach den saikhanas – den stillen Gefährtinnen seiner Begleiter.
    Eiskristalle zerschmolzen an Jem'shiins Zottelmähne und liefen hinunter in den mächtigen, eisengrauen Bart.
    Jem'shiin gehörte zum Clan der shassun, den legendären Jägern aus den Bergwäldern am Kratersee. Seine ständige Vorliebe für die Frauen anderer Männer hatte ihn irgendwann in Orguudoos Küche bringen müssen, das war unvermeidlich gewesen und auch so geschehen. Jem'shiins letzte Errungenschaft hieß Milla. Sie war die heiße rothaarige Frau des Obersten Shassuns gewesen – der zu früh nach Hause gekommen war.
    Jem'shiin seufzte.
    Es hatte dann ein Ratstreffen gegeben. Normalerweise ging so was immer gut aus, denn es mussten mindestens dreißig Männer gegen den Angeklagten stimmen, ehe er verurteilt werden konnte. Blöderweise war in diesem Rat keiner gewesen, mit dessen Frau Jem'shiin nicht schon geschlafen hatte. So hatte man ihn verbannt.
    Aber ich komme zurück! Im Triumph, dachte er. Jem'shiin wusste nicht, dass seine Bergwälder Vergangenheit waren. Er kannte die Daa'muren nur als Macht im See, und er hatte keine Ahnung von den furchtbaren Kriegen und der ganzen Zerstörung, die während der letzten zwei Jahre die westliche Welt erschüttert hatten. In den Weiten der Steppe versickerten solche Nachrichten unbemerkt – wenn sie es überhaupt bis hierher schafften.
    Sicher, gelegentlich kamen Reisende die alte Handelsstraße herauf, doch die stammten zumeist aus
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