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158 - Orguudoos Brut

158 - Orguudoos Brut

Titel: 158 - Orguudoos Brut
Autoren: Stephanie Seidel
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Stirn war von Blut überströmt, das Maul erstickte in weißem Schaum und die Hinterbeine brachen im Galopp seitlich weg. Der Bulle versuchte zu fliehen, egal wohin. Nur fort von dem, was ihn tötete. Das Ergebnis war eine unkontrollierbare, zentnerschwere Masse mit Hörnern, die mit gesenktem Kopf heran donnerte. Genau auf Jem'shiin zu.
    Das Ganze dauerte nur ein paar Herzschläge. Alles lief gleichzeitig ab, und in diesen wenigen Sekunden, die über Leben und Tod entschieden, wurde die Welt so langsam und still, dass es Jem'shiin wie eine Ewigkeit vorkam.
    Er sah den schäumenden, massigen Bullen wie in Zeitlupe größer und größer werden, während er selbst gegen den Widerstand einer unsichtbaren Gummiwand den Schneewall zu erreichen versuchte – den er nicht erreichen durfte, weil dort in diesem Moment ein Kopf und eine Schwerthand hochkamen.
    Dann, plötzlich, zog sich die gedehnte Zeit wieder zusammen und wurde rasend schnell. Jem'shiin sprang zur Seite, rutschte aus, fiel und kroch verzweifelt auf allen Vieren weiter. Hinter und über ihm wurde es dunkel. Der Yakkbulle war in das Hindernis gekracht und hatte es in tausend Schneeklumpen zersprengt.
    Jem'shiin schrie gellend auf, als die Hinterhand des Yakks sein Bein traf. Es brach, und das verendende Tier blieb mit dem ganzen Gewicht darauf liegen.
    Maan verlor keine Zeit. Der Tongidd hatte aus der Deckung des Schneewalls heraus mit ansehen müssen, wie sein Bruder Gerro von Pfeilen durchbohrt zu Boden fiel. Jetzt machten die vermeintlichen Siedler Jagd auf Thurr, und auch der würde den ungleichen Kampf wohl nicht lange überleben. Die Tongidds waren Fallensteller, keine Krieger. Sie töteten Menschen nur, um sie zu essen.
    Bis auf diesen einen! Maan fletschte die Zähne, als er mit dem Schwert in der Hand auf Jem'shiin zulief, der allen Schmerzen zum Trotz noch immer versuchte, sich zu befreien.
    Dieser eine – der dicke, russisch fluchende Graubart – würde sterben, weil Maan es so wollte! Büßen sollte er für das, was seine Gefährten den Tongidds angetan hatten!
    Maan sprang mit einem Satz auf Jem'shiins breiten Rücken.
    Er war nur äußerlich ein kleiner Mann; sein Mut war dem der Großen ebenbürtig. Entschlossen hob er das Schwert. Die Spitze zielte auf eine Stelle zwischen den Schulterblättern des shassuns. Jem'shiin wand sich, schlug nach hinten, versuchte den Gegner zu packen. Es gelang ihm nicht. Der Tod schien unausweichlich.
    Da war ein Geräusch in der Luft. Ein feines helles Singen wie von einer großen Waffe. Maan wurde mit solcher Wucht getroffen, dass er förmlich davon flog.
    Jem'shiin wälzte sich herum und blickte hoch. Eine grimmig dreinblickende Gestalt ragte über ihm auf.
    »Aruula…!«
    ***
    Alles war vorbei. Die Waffen schwiegen, Wind toste über den Platz des Verderbens. Die Sieger hatten sich Holz und Decken aus der Mine geholt, ein Lagerfeuer entfacht und den verwundeten Graubart versorgt. Jetzt sprachen sie über den Kampf, den Sieg und das viele Gold in der Mine.
    Die Frau hatte mitgeholfen, das Yakk zu zerlegen.
    Fleischstücke brutzelten im Feuer. Ihr Duft wehte über den Platz, zusammen mit Ascheflocken und einem Hauch von Wärme.
    Soeben kam ein Mann heran, mit vier Jingiis am Zügel. Das fünfte war ein Fohlen, es trabte frei hinterher. Der Mann band den einzigen Toten, den die Sieger zu beklagen hatten, auf einem der Tiere fest.
    Onnar wusste, dass er selbst für den Tod seiner Familie verantwortlich war. Es war sein Entschluss gewesen, die Siedler im Freien anzugreifen. Ihre Vorgänger hatte man problemlos in die Falle locken können, aber diese hier waren zu klug. Sie wären den Tongidds niemals in die Mine gefolgt.
    Onnar hatte befürchtet, sie könnten den Spieß umdrehen und den Eingang belagern. Vielleicht sogar die Stollen ausräuchern.
    Er tastete nach seinem Bein. Es war dick geschwollen. Der beißende Schmerz durchtrennter Knochen verursachte Übelkeit und ein schreckliches Schwindelgefühl. Onnar war mehrmals ohnmächtig geworden – und doch immer wieder erwacht. Er hatte seine Brüder sterben sehen, ohne ihnen helfen zu können.
    Aber jetzt gab es die Möglichkeit, wenigstens Rache zu nehmen! Die fremde Frau war vom Lagerfeuer weggewandert, als wollte sie allein sein. Sie stand nur ein paar Schritte von Onnars Versteck entfernt, reglos, das große Schwert lässig auf der Schulter, und sie drehte ihm den Rücken zu.
    Der Tongidd richtete sich auf. Tränen liefen ihm übers Gesicht, und er biss die
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