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158 - Orguudoos Brut

158 - Orguudoos Brut

Titel: 158 - Orguudoos Brut
Autoren: Stephanie Seidel
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scheinbar harmlos. Aber Luuja durchschaute ihre Absicht, hetzte an ihr vorbei und verstellte den Weg zu den Waffen. Sie grinste, und Aruula beschlich ein ungutes Gefühl. Zu Recht, denn während die kleine Frau das Schwert auf sie gerichtet hielt, tastete ihre andere Hand nach hinten.
    »Meerdu!«, stieß Aruula zwischen den Zähnen hervor und warf sich in Deckung. Sie landete auf einem zusammengeknüllten Pelzmantel. Ein Dolch kam geflogen; die scharfe Klinge schrammte heiß über Aruulas Hand und entriss der Barbarin einen Schmerzenslaut.
    Weitere Geschosse knallten an die Wand. Der Kupferkessel war nicht groß genug, um ausreichend Schutz zu bieten. Aruula zerrte den Mantel unter sich hervor und warf ihn über Kopf und Rücken. Ein Ärmel fiel schaukelnd vor ihr Gesicht, sie sah das Streifenmuster – und erstarrte.
    Ekkornfell, blond und rot.
    »Maalik!«, hauchte Aruula fassungslos. Dann fühlte sie das hart getrocknete Blut. Sie riss den Mantel herunter. Auf Brust und Ärmeln waren nur Flecken, aber der Kragen war völlig durchtränkt. Aruula versuchte ihre Gedanken zu stoppen, wehrte sich mit aller Macht gegen die Erkenntnis, doch es nützte nichts.
    Jemand hatte Maalik geköpft. Einen blinden, wehrlosen Mann. Ihren Freund.
    Wieder kam ein Messer geflogen. Wutentbrannt schoss Aruula hoch und schleuderte Luuja den Mantel entgegen, und während diese noch taumelnd versuchte, sich von dem Pelz zu befreien, sprang Aruula einen Schritt zurück. Sie hob den Fuß und trat mit aller Macht gegen den Kesselrand. Der Deckel segelte davon, das Gefäß kippte um, sein Inhalt ergoss sich in die Vorratskammer.
    Aruula hechtete derweil zu ihrem Schwert. Sie zog den Bihänder aus dem klirrend fallenden Waffengewirr und drehte sich um – bereit zum Schlag.
    Was sie sah, kam völlig unerwartet. Der Schock war immens, und er ließ Aruula wie gelähmt verharren.
    Im Kessel hatte sich eine ölige Tunke befunden, mit Kräutern durchsetzt; Luuja war darauf ausgerutscht und wand sich mitsamt Maaliks Mantel am Boden. Rings um die Narod'kratow wabbelte grau gekochtes Fleisch – ein Schulterstück, ein Unterschenkel, ein Arm. Luuja fischte nach ihm mit beiden Händen.
    »Mein Essen! Mein Essen!«, jammerte sie und drückte das tote Fleisch an ihre Brust.
    Übergangslos ließ sie es fallen. Ihr Blick wurde irre, sie mühte sich zu dem umgestürzten Kessel und stemmte ihn hoch.
    Aruula schien sie vergessen zu haben.
    Luuja plapperte Unverständliches, während sie anfing, die Körperteile einzusammeln. »Unordnung ist gefährlich! Man darf nichts herumliegen lassen! Wenn die großen bösen Männer das Essen sehen, werden sie wütend.«
    Schwungvoll warf sie das Schulterstück in den Kessel. Sie drohte ihm mit dem Finger. »Man muss dann fliehen, weißt du? Denn die bösen Männer hören nicht auf, wütend zu sein. Tongidds, Tongidds! rufen sie und werfen einem Steine hinterher.«
    Aruula schlug entsetzt die Hand vor den Mund. Das Wort Tongidd hatte sie zwar noch nie gehört, aber es war nicht schwer zu erraten, was es bedeutete. Bei den Steppenvölkern hieß es offenbar Shak'machuu.
    Menschenfresser.
    Aruula dachte an die volle Scheune und die Gerätschaften im Dorf, die so gar nicht zu den Saikhan passen wollten. Sie hatte sich gefragt, wo die rechtmäßigen Besitzer geblieben sein mochten, und nun ahnte sie die Antwort. Die Siedler waren nicht fortgezogen. Sie waren hier – in den Töpfen der Tongidds!
    »Aufräumen! Aufräumen! Ordnung ist wichtig!«, murmelte Luuja und stopfte Maaliks Mantel in den Kessel. Der Anblick riss Aruula aus ihrer Starre. Sie trat hinzu und packte Luujas Handgelenk.
    »Der Besitzer dieses Mantels. Hast du den auch gefressen?«, fragte sie bitter. Tränen schimmerten in ihren Augen. Luuja lächelte zu ihr hoch.
    »Gutes Fleisch! Gutes Essen!«, lobte die Tongidd.
    Aruula ließ sie los und trat zurück. Ihre zitternde Faust krampfte sich um den Griff des Bihänders.
    ***
    Jem'shiin sah sich gehetzt um. Sein Instinkt hatte sich endlich bequemt, den
    shassun
    zu warnen. Eine Spur im Gewirr der Fußabdrücke verschwand hinter dem Wall aus Schnee, und diese Deckung fühlte sich plötzlich nicht mehr sicher an. Er war auf halbem Weg zwischen zwei Verstecken – was sollte er tun? Weiterlaufen? Umkehren?
    Nur eines war gewiss: Er konnte auf keinen Fall stehen bleiben! In der Dämmerung lauerte eine unbekannte Zahl von Angreifern, und aus der Dämmerung kam der Yakkbulle zurück. Es ging zu Ende mit ihm; die massige
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