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158 - Orguudoos Brut

158 - Orguudoos Brut

Titel: 158 - Orguudoos Brut
Autoren: Stephanie Seidel
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ein bisschen wärmer sein?
    Eine Erkenntnis schoss heran, überholte Aruulas sanftes Dahindämmern in den Erfrierungstod und riss sie von der Pforte des Schattenreichs zurück.
    Ich bin nicht tot! Die junge Barbarin hob den Kopf. Schnee fiel in weichen Klumpen an ihren Haaren herunter. Er löste sich in einer Kuhle voll Schmelzwasser auf, die Aruula in die Tiefe geatmet hatte, während sie bewusstlos gewesen war.
    Zögernd kehrten ihre Erinnerungen zurück – an den wilden Flug der Androne, an das Hindernis und den Sturz.
    Aruula wagte kaum, sich zu bewegen. Sie kannte diesen heißen Schmerz, der den Körper durchfährt, wenn etwas gebrochen ist, und er würde kommen, da war sie sicher.
    Wahrscheinlich gleich von mehreren Stellen. Das konnte gar nicht anders sein nach einem solchen Sturz.
    Oder vielleicht doch? Sie blinzelte ein paar Mal. Anfangs hatte Aruula Schwierigkeiten, den Blick zu fokussieren, doch das legte sich und sie gewann an Sicherheit. Ringsum sah es aus wie auf einem schockerstarrten weißen Meer. Da waren lauter Schneewehen, und auf einer davon – nein: in einer davon war Aruula gelandet. Probeweise krümmte sie ihre Finger, dann die Zehen, dann den Rücken. Nichts. Kein Schmerz. Nur klamme Kälte.
    »Ich hab's überlebt, Wudan sei Dank!«, flüsterte sie erleichtert.
    Trotz der bleiernen Müdigkeit in ihren Gliedern stemmte sich die Barbarin hoch und arbeitete sich aus dem knirschenden, wegsackenden Schnee hervor. Als sie festen Boden unter den Stiefeln hatte, hielt sie inne, vornüber gebeugt und mit den Händen an den Knien. Atemwolken stiegen in schneller Folge auf, und ihr Herz pochte gegen die Rippen.
    Plötzlich fiel ihr etwas ein.
    Die Androne!, dachte sie erschrocken. O bitte, Wudan, lass sie nicht geflohen sein!
    Aruula sah sich um, und ihr Blick wurde kalt: Der oberste Gott hatte den Wunsch seines Menschenkindes erfüllt – aber anders als erwartet! Erneut spürte Aruula diesen ohnmächtigen Zorn in sich aufsteigen, der sie immer wieder überkam, seit Maddrax verloren war. Die Götter schienen neuerdings ein bösartiges Spiel mit ihr zu treiben! Sie ließen sich anbeten und erweckten vermeintliche Hoffnung, nur um sie gleich wieder zu zerschlagen und Aruula in noch tiefere Abgründe fallen zu lassen.
    Ich weiß nicht, was ich euch getan habe, dachte sie hitzig, während ihr Blick über zerknickte Insektenbeine und Chitinstücke wanderte, die still und starr aus dem Schnee ragten. Ihr habt mir alles genommen, was mir wichtig war.
    Trotzdem hört ihr nicht auf, mich zu quälen! Und ihr sagt mir nicht einmal, warum!
    Prompt huschte das Bild eines brennenden Felsens durch Aruulas Gedanken, doch sie wischte es weg. Nein, diese Vision hatten nicht die Götter geschickt, die für Maddrax' Tod verantwortlich waren! Sie kam von einer neuen, namenlosen Macht, die freundlich war und nichts weiter wollte als das, was eigentlich Wudan und seine Gefährten hätten tun sollen.
    Helfen.
    Wisst ihr was? Ich bin fertig mit euch! Betet euch selber an!
    Aruula stapfte los, um die Satteltaschen der toten Androne zu bergen. Sie hatte ihre provokanten Worte kaum zu Ende gedacht, da rauschte etwas über ihr. Es klang unheilvoll, und das war es auch. Als die Barbarin aufsah, blieb ihr gerade noch Zeit für einen gewaltigen Hechtsprung, dann kam eine Lawine herunter, die mit Wucht den Boden traf und die Reste der Androne unter sich begrub.
    Wolken aus feinstem Schneestaub rollten über Aruula hinweg. Sie blieb reglos liegen; entsetzt und halb erwartend, von Wudan getötet zu werden. Eine andere Gottheit mochte ihr das Bild des brennenden Felsens geschickt haben – aber diese Reaktion war ganz sicher von ihm!
    Nichts geschah, und so richtete sich Aruula nach einer Weile auf und klopfte den Schnee von ihrer Kleidung.
    Furchtsam wanderte ihr Blick in die Höhe, an der Riesenstatue des fremden Gottes entlang. Sie war an der Westseite verschneit. Nur die linke Schulter ragte als blanker Stein heraus; entlang des Oberarms verlief die Spur der Lawine.
    Wer bist du?, fragte Aruula in Gedanken und wesentlich gemäßigter als noch vor zwei Minuten.
    Der Wintergott lächelte vor sich hin, den Blick übers Land in weite Fernen gerichtet. Er saß mit gekreuzten Beinen da, wie die Frauen der Dreizehn Inseln, wenn sie lauschten, eine Hand in den Schoß gelegt. Ein Faltengewand bedeckte seine Blöße.
    Ringe steckten in den Ohren, er hatte einen Punkt auf der Stirn und trug eine knotige, eng anliegende Kopfbedeckung.
    Aruula
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