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155 - Kriminalfall Kaprun

155 - Kriminalfall Kaprun

Titel: 155 - Kriminalfall Kaprun
Autoren: Uhl Hannes
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ihrem, dem Toten gewidmeten Fenster eine Kerze anzuzünden. Die Gedenkstätte ist jetzt voller Menschen, die still oder in Tränen ihrer Verstorbenen gedenken.
    Wenige Tage zuvor hat sich die Gletscherbahn AG in einem offenen Brief an die Hinterbliebenen gewandt und erstmals Verantwortung für die Katastrophe übernommen.
    »Der Unfall geschah in der Standseilbahn, die wir betrieben haben. Es geschah in unserem Betrieb, also unter unserer Verantwortung. Zu dieser Verantwortung bekennen wir uns.
    Bis der Unfall passierte, waren wir stolz auf unsere Bahn. Seit ihrem Bestehen wurden 28 Millionen Gäste unfallfrei transportiert. Wir hatten renommierte Firmen damit betraut, für uns die Wägen der Standseilbahn neu zu bauen und auszustatten. Sie versicherten uns, den neuesten Stand der Technik zu liefern. Wir konnten davon ausgehen, dass alle geltenden Anforderungen, Normen und Gesetze eingehalten sind.
    Bevor die Bahn in Betrieb ging, überprüften sie unabhängige Ziviltechniker und dafür zuständige oberste Behörden und haben sie für gut befunden. Niemand hatte irgendetwas zu beanstanden. Wir haben die Anlage nach allen Vorschriften und mit größter Sorgfalt gewartet. (…)
    Im Prozess analysierten unabhängige Gutachter, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Ihre Expertise führte zu dem Ergebnis, dass wir den Betrieb der Bahn sorgfältig durchgeführt haben und uns keinerlei Fahrlässigkeiten vorwerfen lassen müssen. Auch wenn wir nicht schuldig sind im juristischen Sinne, so plagen uns bis heute quälende Fragen des ›Warum‹ (…)
    Wir werfen uns vor, dass wir vor dem Unglück nicht gewusst haben, was geschehen konnte, obwohl uns der Verstand sagt, dass wir erst im Nachhinein klüger sind. Aber leider nicht nur wir, sondern alle anderen auch. Niemand hat das Unglück vorhergesehen – und niemand konnte es uns vorhersagen.
    Das Unglück, so sagen uns Gutachter im Prozess, ist aus einer unglücklichen Verkettung von Umständen entstanden. (…)
    Wir sind die Betreiber der Unglücksbahn gewesen. Was geschehen ist, tut uns unendlich leid. Wir stehlen uns nicht aus unserer Verantwortung. Wir bitten alle, die betroffen sind und wohl immer unter der Katastrophe von Kaprun zu leiden haben, von ganzem Herzen um Verzeihung.
    Im Namen der Gletscherbahnen Kaprun AG Der Vorstand«
    »Zumindest haben sie in dem Schreiben die Verantwortung nicht mehr von sich geschoben«, sagt ein Hinterbliebener, während er auf die Glaslamelle, die an seine Tochter erinnert, starrt.
    »Ja, aber sie schreiben immer noch von ›einer unglücklichen Verkettung von Umständen‹, und dass sie die Bahn ›mit größter Sorgfalt‹ betrieben hätten.«
    »Ach komm, vergiss es, zumindest für heute, deiner Tochter zuliebe.«
    Es ist kurz vor neun Uhr, und langsam bewegen sich die Angehörigen hinaus auf den Vorplatz. Jetzt haben alle Aufstellung genommen, die Feuerwehr, das Rote Kreuz, die Politik und die Gletscherbahnmitarbeiter. Am Rand überall Blumen und Kränze, auch das Land Salzburg und die Mitarbeiter der Gletscherbahn haben Kränze zur Verfügung gestellt. Etwas abseits hat das Rote Kreuz ein Zelt errichtet, in dem alle mit Tee versorgt werden. Auch ein Kriseninterventionsteam ist da, für alle Fälle. Der Nebel hängt immer noch tief in den Berghängen. Es ist nasskalt.
    Punkt neun Uhr wird die Seilbahn angehalten, genauso wie es die Gletscherbahnmanager versprochen hatten. Jetzt sollte für eine Stunde im Talschluss Ruhe herrschen, dort, wo fast auf die Minute genau vor zehn Jahren die Katastrophe seinen Ausgang genommen hat. Nur die Stimmen der Redner sollen jetzt noch die seltene Stille bei der Talstation stören.
    »Wir wurden von der österreichischen Justiz zutiefst enttäuscht«, sagt ein Vater, der seinen 18-jährigen Sohn verloren hat, in der ersten Rede vor rund 200 Teilnehmern, »das Gericht hat nicht einmal versucht, die Ursachen dieses Infernos zu ergründen. Die Schadensbegrenzung für den Fremdenverkehr war wichtiger als 155 Tote.« Das Unglück sei das Ergebnis »menschenverachtender Profitgier und Schlamperei.« Der Redner blickt bewusst zu den Mitarbeitern der Gletscherbahn, die etwas abseits in ihren hellblauweißen Anoraks stehen. »Wir kennen das Gesicht der Verantwortlichen.«
    »Es ist nicht leicht, hier zu stehen, auch zehn Jahre nach dem Schreckenstag nicht«, sagt die nächste Rednerin, eine Mutter, deren 14-jähriger Sohn, eine Nachwuchshoffnung im deutschenSkiverband, im Tunnel sterben musste. »All die
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