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155 - Kriminalfall Kaprun

155 - Kriminalfall Kaprun

Titel: 155 - Kriminalfall Kaprun
Autoren: Uhl Hannes
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bestens ausgebildet die erfolgreiche Firma des Vaters weiterführen. Doch dann fuhr er zum Skifahren nach Kaprun, stieg am 11. November 2000 in die Gletscherbahn und starb. Den Verlust seines geliebten Sohnes hat Stadtman nicht verkraftet, wurde schwer depressiv, konnte nicht mehr arbeiten. Zuerst verlor er seine Kunden, dann seine Mitarbeiter und nun verfällt das Unternehmen.
    Für die Eheleute Stieldorf aus Wien vergeht kein Tag, an dem sie nicht an ihren Sohn denken, der die väterliche Anwaltspraxis übernehmen wollte und dessen Studentenleben gerade begonnen hatte. Manchmal, wenn Johannes Stieldorf im Auto oder zu Hause sitzt, kommen dem disziplinierten und rationalen Wirtschaftsanwalt aus heiterem Himmel die Tränen, noch 13 Jahre nach dem Verlust.
    Aus dem Ort Kaprun hatte sich eine Mutter mit ihrem sechsjährigen Sohn angestellt, um mit der Gletscherbahn zu fahren. Vor der Zugangsschranke zur Bahn werden Sie getrennt. Die Mutter fährt mit dem Zug hoch, während der Bub in der Obhut eines Skilehrers nachkommen sollte. Beide kommen oben nie an. Ihr Kind stirbt ohne sie in der Bahn und die Mutter erlebt oben auf dem Gletscher die grausamsten Stunden, die Eltern jemals erleben können, während der dichte, schwarze Rauch aus dem Alpincenter dringt.
    Saori Mitsumoto aus Tokio studiert an der renommierten Keio-Universität und gehört dem angesehenen Skiclub ihrer Elite-Universität an. Sie erhofft sich vom Training in den Alpen eine gute Ausgangsbasis für die Skiwettkämpfe ihres Colleges im Jänner 2001. Im März will sie dann im Fach Politikwissenschaften ihre Abschlussprüfung ablegen und schreibt bereits an ihrer Examensarbeit über eine Reform des japanischen Wahlrechts. Ob es ihr später gelingen wird, das politische Interesse mit einem Beruf zu verbinden, weiß sie noch nicht. Kurz vor ihrem Abflug nach Kaprun erhält sie ein sehr gutes Angebot vom Kaufhauskonzern »Seibu« für eine Managementstelle im Einkauf, ihre guten Englisch- und Französischkenntnisse haben den Personalchef beeindruckt. Saori war der ganze Stolz ihrer Eltern, nun betreuen Nanae und Masatoshi Mitsumoto die Gruppe der japanischen Hinterbliebenen, sind bei allen wichtigen Gerichtsterminen und Gedenktagen im fernen Österreich und kommen selbst nicht zur Ruhe. Für das Land, das ihnen ihre geliebte Tochter nahm und dennoch alle Schuldigen freispricht, haben sie nur noch Verachtung übrig: »Austria is no longer a nation governed by the rule of law.« Sie führen die auch in zweiter Instanz bestätigten Urteile auf staatlichen Betrug und Korruption zurück.
    Es gibt keine Opferfamilie, die nach der Kaprun-Katastrophe Frieden finden kann. Dazu hat der Brand in der Gletscherbahn zu viel zerstört, an Leben, an Hoffnungen, an Zukunft und an Liebe. Familien haben ihre Kinder verloren, Kindern wurden Väter oder Mütter genommen und Freundschaften wurden zerrissen. In einer Familie starben die Eltern eines vier Monate alten Kindes, das jetzt von den Großeltern aufgezogen wird. Frauen müssen ohne ihren Mann weiterleben. Ehen gehen in die Brüche, und noch Jahre nach dem 11. November 2000 zerstört die Katastrophe Familien. Kredite können nicht mehr bedient werden und Familienhäuser werden zwangsversteigert. Inhaber von Unternehmen ersticken im Tunnel, ihre Firmen gehen Bankrott, doch die Schulden bleiben den Familien.
    Überall in der Welt werden die Freisprüche im Salzburger Prozess als falsch, unseriös und nicht rechtsstaatlich empfunden.
    Doch nicht nur das Ausland geht mit Österreichs Justiz hart ins Gericht, zu den unversöhnlichsten Kritikern des Kaprun-Verfahrens zählen viele Österreicher, die ihren Glauben an einen Rechtsstaat verloren haben und der eigenen Gerichtsbarkeit grundsätzlich nicht mehr trauen. Dass sie damit auch Richter und Staatsanwälte pauschal verurteilen, die sich täglich um Gerechtigkeit bemühen und sich selber für das Kaprun-Urteil schämen, nehmen sie verbittert hin. Die österreichische Justiz war im Umgang mit dem menschlichen Bedürfnis nach Schuld und Sühne in der Folge eines Unglücks dieses Ausmaßes überfordert.

Kapitel 42
    Die Meteorologen haben Sonnenschein vorhergesagt, doch am Morgen des 11. November 2010 nieselt es. Über den Bergen hängt Nebel. Kälte kriecht den einsamen Wanderern in die Knochen. Um 7:30 Uhr sind Karin und Johannes Stieldorf von der Jugendherberge in Kaprun losmarschiert. So wie jedes Jahr wandern sie mit Holzkreuzen die sieben Kilometer ins Kapruner Tal bis zur
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