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1086 - Der Vampir und der Engel

1086 - Der Vampir und der Engel

Titel: 1086 - Der Vampir und der Engel
Autoren: Jason Dark
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des anderen, der sie nichts entgegensetzen konnte. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und weggerannt, dazu fehlte ihr wiederum der Mut, und so blieb sie sitzen.
    Verkrampft, innerlich zitternd, und sie konnte auch nichts gegen den feinen Schweißfilm auf ihrem Gesicht und dem Körper tun. Er blieb und würde immer bleiben, so lange sich der andere in ihrer Nähe befand.
    Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Der Gedanke an den Speisewagen kam ihr in den Sinn, wo jemand saß, der auf sie wartete und ihr einen Platz freihielt. Zu lange wollte sie sich nicht im Abteil aufhalten. Am liebsten wäre sie jetzt aufgestanden und verschwunden, doch sie bekam die Kurve nicht. Die Anwesenheit des ihr inzwischen unheimlich gewordenen Fremden bannte sie auf der Stelle.
    »Was denkst du?«
    Er hatte sie wieder angesprochen, und abermals zuckte sie zusammen. »Warum interessiert Sie das?«
    »Du denkst über mich nach, wie?«
    »Nein.«
    Zuerst hob er die Schultern, dann lachte er. »Klar, du denkst über mich nach. Das sehe ich dir an. Deine Gedanken sind zu lesen, als wären sie dir auf die Stirn geschrieben. Du weißt nicht, wie du mich einschätzen sollst.« Er zog ein Bein an und stellte seine Hacke auf den Sitz. Hinter seinen Wangen bewegte sich die Zungenspitze, die er hin- und herwandern ließ, und er nickte ihr zu.
    »Bitte, hören Sie auf!«
    »Nein, warum denn? Ich habe mich bewußt hier in das Abteil gesetzt. Ich wollte zu dir. Wir beide werden uns noch in dieser Nacht vergnügen, das schwöre ich dir.«
    »Ich werde…!«
    »Was wirst du?«
    Estelle kam um eine Antwort herum, denn die Tür wurde abermals aufgezogen. Sie rechnete mit einem weiteren Reisenden, aber es war nur der Schaffner, der die Fahrausweise kontrollieren wollte.
    Ein schon älterer Mann mit einem schneeweißen Oberlippenbart und leicht geröteten Augen.
    Estelle überlegte, ob sie ihn ansprechen und um Hilfe bitten sollte. Zugleich stellte sie sich die Frage, ob sie sich dann nicht lächerlich machte. Was sollte sie dem Mann sagen? Daß sie sich bedroht fühlte? Daß sie Angst vor dem Mitreisenden hatte, der den Schaffner in diesem Moment so freundlich anlächelte?
    Nein, das war nicht möglich. Auf einen bloßen Verdacht hin erreichte sie nichts.
    »Ihren Fahrausweis, bitte.«
    »Ja, Moment.« Estelle hob die Klappe der Handtasche an und kramte dort herum. Die Fahrkarte steckte in einer Innentasche, und sie drückte sie dem Schaffner in die Hand.
    Er stempelte die Fahrkarte ab, bedankte sich und wünschte den beiden noch eine gute Reise. Estelle schaute ihm nach. So viele Gedanken und Vorsätze schwirrten durch ihren Kopf, nur setzte sie nichts davon in die Tat um. Der Schaffner ging weiter.
    »Wir sind wieder allein«, sagte der Mann.
    »Na und?«
    »Ho, du kannst ja patzig sprechen.«
    »Hören Sie auf, mich zu duzen.«
    »Nein, Süße.« Er lächelte wieder. Im Gegensatz zu vorher öffnete er dabei seinen Mund.
    Estelle konnte den Blick nicht abwenden und bekam etwas zu sehen, was sie nicht begriff. Es war zu ungewöhnlich und furchtbar zugleich.
    Sie sah die normalen Zähne, aber auch zwei andere, die aus dem Oberkiefer hervorwuchsen wie zwei dicke Pfeilspitzen…
    ***
    Für Estelle Crighton brach zwar keine Welt zusammen, aber sie wußte nicht, was sie in diesen schrecklich langen Augenblicken denken sollte. Es war alles so anders geworden. Vor die normale Welt schien sich ein Tuch gehängt zu haben. Dieser Mann, der so normal aussah, hatte sich plötzlich als Vampir entpuppt.
    Etwas wühlte sich wie eine Kralle durch ihre Magengegend, als wollte es bei ihr die Eingeweide aufreißen. Sie saß da, ohne sich zu rühren, den Blick auf das Gesicht gerichtet, in dem noch immer das Lächeln stand. Es hatte sich ihrer Meinung nach verschoben, sah schief aus. Vielleicht, weil er nur die Oberlippe zurückgezogen hatte. Er sagte nichts, er saß einfach nur da.
    Feuchte Hände. Starkes Herzklopfen, all das überfiel sie mit einer großen Wucht. Estelle war aus dem normalen Leben herausgerissen worden, denn was sie hier sah, das paßte einfach nicht. Es war unmöglich, damit zurechtzukommen, und es wurde auch nicht besser, als er seinen Mund schloß.
    Dann hörte sie sein Kichern. »Weißt du nun, wer ich bin?« säuselte er seine Frage.
    »Ich will es nicht wissen.«
    »Ich sage es dir trotzdem. Ich bin Ezra, Ezra York. Merk dir den Namen gut.«
    »Nein!«
    Er ging nicht darauf ein. »Und wie heißt du?«
    »Estelle.« Sie erschrak über sich selbst,
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