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1086 - Der Vampir und der Engel

1086 - Der Vampir und der Engel

Titel: 1086 - Der Vampir und der Engel
Autoren: Jason Dark
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reagierte, was den Geruch anging, und über ihren Rücken rann grundlos ein Schauer.
    Sei froh, daß du ungestört bist! hämmerte sie sich ein. Benimm dich nicht wie eine Zicke!
    Die junge Frau riß sich zusammen. Sie nahm den Koffer wieder hoch und betrat das Abteil mit den grüngepolsterten Sitzen. Sie sah das Fenster mit den abgerundeten Kanten und dahinter die schottische Landschaft in einem düsteren Grau vorübergleiten. Es gab auch Vorhänge, die sie zuziehen konnte, doch das wollte sie noch lassen oder es sich später überlegen.
    Wenig später war sie froh, daß sie es geschafft hatte, den Koffer in das Gepäcknetz zu wuchten.
    Danach schlüpfte sie aus dem Mantel und hängte ihn an einen Haken.
    Sie trug ein beigefarbenes Kaschmir-Twinset, eine braune Hose mit Marlene-Dietrich-Beinen und Stiefeletten.
    In Fahrtrichtung setzte sich Estelle ans Fenster. Jetzt, als sie etwas zur Ruhe gekommen war, spürte sie das Schaukeln des Waggons, aber es störte sie nicht mehr. Das sanfte Fahren, das Dahingleiten tat ihren Nerven gut. Wenn es so blieb, würde sie irgendwann einschlafen und auch den Speisewagen vergessen, obwohl der nette Fremde sicherlich einen interessanten Abend versprach, ohne daß sie mit irgendwelchen Hintergedanken rechnen mußte.
    Estelle Crighton war eine Träumerin. Manchmal malte sie sich das Leben so aus, wie sie es gern hätte. Dann sah sie sich in einem wunderschönen Haus mit Garten wohnen. Sie hatte einen Mann, dessen Gesicht aber stets im Schatten blieb, und sie war auch Mutter von zwei Kindern, die durch den sommerlichen Garten tobten, wobei ihr Lachen ansteckend war.
    Eine wunderschöne, eine heile, aber auch eine kitschige Welt, die aber nie so recht völlig positiv war, denn über ihr lag stets ein dräuender Schatten.
    Die Frau wußte nicht, was es bedeutete. Der Schatten konnte durchaus eine Vorahnung dessen sein, was noch auf sie zukam. Später, denn sie war noch jung und viele Jahre lagen noch vor ihr. Sie hätte darüber glücklich sein können, und doch verfiel sie immer mehr in Melancholie.
    Den Grund konnte sie nicht sagen. Er hing auch nicht mit Äußerlichkeiten zusammen, denn finanziell ging es ihr gut. Sie führte ein tolles Leben, sie war als Model ausgebucht, kannte die großen Städte Europas und auch die meisten der Welt, denn die Mode war eben international.
    Trotzdem war sie nicht glücklich.
    Sie überkam immer stärker der Eindruck, daß etwas mit ihrem Leben nicht stimmte. Da lief etwas schief, da konnten auch Dinge im Verborgenen liegen, die erst zum Vorschein kamen.
    Der Blick in die Scheibe, der Blick gegen die Scheibe, in der sie wieder ihr Gesicht sah, mit dem sie jedoch nicht zufrieden sein konnte. Wieder lösten sich die Umrisse auf. Sie verschwanden in der vom gelblichen Licht getroffenen Scheibe und vermischten sich mit den schattenhaften Bildern, die ab und zu von außen her über das Glas hinweghuschten.
    Estelle nahm es als Omen wahr. Als eine bestimmte Bedeutung, die einzig und allein ihr galt. Sie war der Mittelpunkt, und um sie drehte sich alles.
    Warum verschwamm ihr Gesicht? Warum zeichnete es sich nicht normal ab wie bei anderen Menschen auch? Was steckte da in ihr? War sie etwas Besonderes?
    Daran konnte sie nicht glauben, nein, nicht jetzt, nicht hier im Zug. Es mußte eine andere Bedeutung haben oder sogar eine Bestimmung. Darüber mußte sie einfach nachdenken, und zugleich spürte sie den Stich tief im Magen.
    Ja, es hing einig und allein mit ihr zusammen. Die Umwelt hatte damit nichts zu tun.
    Estelle lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Wie unter Zwang schloß sie die Augen. »Ich bin es«, flüsterte sie vor sich hin. »Ich bin es, an der alles hängt.«
    Wieder überkam sie das Gefühl der Traurigkeit. Es waren die Momente, in denen sie sich so überflüssig und nutzlos vorkam. Wie jemand, bei dem der große Schicksalsschlag dicht bevorstand, und dem er nicht ausweichen konnte.
    Sie hatte das Gefühl, weinen zu müssen und riß sich stark zusammen, um es nicht zu tun. Ihr Kopf war nicht von Schmerzen erfüllt, aber von einem ungewöhnlichen Brausen, als hätten es fremde Gedanken geschafft, in sie einzudringen. Fremde und trotzdem irgendwo auch vertraute Gedanken, mit denen sie nicht so leicht fertig wurde.
    Es war ihr alles nicht so neu. Die Gedanken waren schon früher durch ihren Kopf geglitten, aber nie so intensiv wie jetzt. Wenn sie schon über ein Schicksal nachdachte, dann kam es ihr so nahe vor.
    Es brauchte nur wenige Schritte
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