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2894 - Niemand stribt für sich allein

2894 - Niemand stribt für sich allein

Titel: 2894 - Niemand stribt für sich allein
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New York versank. So kam es uns jedenfalls vor. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die herabrauschenden Fluten einen reißenden Strom bildeten und alles wegspülten, was sich am Boden der Straßenschluchten bewegte – einschließlich des Jaguar mit Phil und mir darin. Wir hatten dieses Bild vor uns, das man aus deprimierenden Filmszenen kannte, in denen die Scheibenwischer ihre Arbeit nicht mehr schafften. Vor uns geisterte das rote Glühen von Rückleuchten und Bremslichtern durch die Regenhölle, rechts schoben Fußgänger ihre Schirme durch den Wasserdruck, längst durchnässt von den Schwaden, die der Wind ihnen um die Ohren peitschte. Zu allem Überfluss war der Morgen auch noch dunkel wie die Nacht.
    Ein Montag wie aus einem Albtraum. So ein Wochenanfang konnte sogar mir die Stimmung verhageln, obwohl mich schlechtes Wetter weitaus weniger belastete als meinen Partner.
    »Können wir froh sein!«, stöhnte Phil immerhin. »Wir müssen nicht mehr raus. Nur noch ruck, zuck in die Tiefgarage, und dann ab ins Büro. Da ist es wenigstens warm und trocken.«
    »Habe ich richtig gehört?«, staunte ich. »Solche Töne von dir?«
    »Warum denn nicht?« Phil sah mich an und erklärte todernst: »Bei so einem Sauwetter wie heute jagt man doch nicht mal seinen Hund vor die Tür. Da kommt das Büro auf der Aufenthalts-Hitliste gleich an zweiter Stelle – nach dem trauten Heim.«
    Ich tat beeindruckt und nickte, während ich unser rotes Mini-U-Boot durch den Wolkenbruch navigierte. »Dein warmer und trockener Platz am Schreibtisch in einem völlig neuen Licht. Wer hätte das gedacht?«
    Phil grinste. »Du glaubst wahrscheinlich, ich wechsele meine Meinungen wie die Hemden? Gib’s zu, du denkst, du hast mich erwischt.«
    »Wobei?«
    »Dabei, dass ich mir widerspreche. Da behaupte ich dauernd, es im Büro nicht aushalten zu können, und auf einmal ist es mein Traumziel. Klar, dass sich das beißt.«
    »Und das Akten-Aufarbeiten macht dir ab sofort Spaß.«
    »Ganz und gar nicht. In einer trockenen Scheune könnte ich mich bei Regen auch wohlfühlen. Deshalb muss es mir noch lange keinen Spaß machen, Farmer zu sein und Strohballen zu stapeln.«
    Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich vor uns die Einfahrt zur Tiefgarage des Federal Building. Spuren nasser Reifen wurden von der Trockenheit des hell erleuchteten Betongewölbes aufgesogen. Das Abflusssystem an der Einfahrt bestand seine Belastungsprobe. Nichts wurde überflutet hier unten.
    ***
    Im Erdgeschoss stiegen fluchende, durchnässte Leute in den Fahrstuhl. Neidische und fast vorwurfsvolle Blicke trafen uns. Das lag eindeutig an unserer trockenen Kleidung. Zu Beginn unserer Fahrt hatte noch die Sonne geschienen, und obwohl der Oktober zu Ende ging, hatten wir gehofft, dass er sich noch einmal von seiner goldenen Seite zeigen würde. Stattdessen hatte er uns schon in Midtown auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Das Wetter war von einer Minute zur anderen umgeschlagen. Nächste Woche begann der November, und New York präsentierte sich so herbstlich, wie wir es von dieser Jahreszeit gewohnt waren. Das Wetter hatte nur eine weitere Minute gebraucht, um sich in den Wolkenbruch zu steigern, den wir gerade erlebten.
    Das Klingeln eines der Telefone empfing uns, noch bevor Phil die Tür zu unserem gemeinsamen Büro geöffnet hatte. Er war als Erster dran, nickte beim Zuhören und sagte: »Eine bessere Entschädigung kann es nicht geben.«
    »Wofür?«, fragte ich, als er auflegte.
    »Fürs Wetter«, antwortete er und drehte sich zu mir um. »Kehrt marsch, Jerry. Dienstbesprechung beim Chef.«
    » Was für eine Entschädigung?«, fragte ich, obwohl ich es ahnte. Ich wandte mich zum Korridor.
    Phil zwinkerte nur. »Der beste Anfang für einen neuen Tag und eine neue Woche«, sagte er dann, als wir das Vorzimmer des Chefbüros betraten.
    Der Kaffeeduft, der in der Luft hing, war so anheimelnd wie eh und je. Helen, die Sekretärin des Assistant Director, begrüßte uns mit ihrem gewohnt sympathischen Lächeln und ließ uns wissen, dass der Chef uns erwartete. Und natürlich stand eine Kanne mit frisch aufgebrühtem Lebenswecker für uns bereit. Genau das, was mein Freund mit der Entschädigung meinte.
    Mr Highs kurzes Haar glänzte mattsilbern; es ergänzte die elegante Erscheinung des schlanken Mannes mit den feingliedrigen Künstlerhänden. Er hatte die Deckenleuchten eingeschaltet, denn Tageslicht fiel in sein Büro nur andeutungsweise. Schwarze
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