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1086 - Der Vampir und der Engel

1086 - Der Vampir und der Engel

Titel: 1086 - Der Vampir und der Engel
Autoren: Jason Dark
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Geschafft!
    Im letzten Augenblick hatte Estelle Crighton den Zug erreicht. Und sie hatte dem jungen Mann, der ihr den Lederkoffer in den Wagen geschoben hatte, noch einen Kuß zugepustet. In das Abteil mit dem reservierten Platz hatte er den Koffer nicht tragen können. Die Zeit reichte einfach nicht aus, denn die Türen schlossen sich bereits.
    Die Frau mit den glatten blonden Haaren war froh, in der Wärme zu stehen. Zurück blieb der kalte Dezemberabend, in dem selbst die Luft aus Eis zu bestehen schien. Wäre es ihr nicht gelungen, den Zug zu erreichen, hätte es schweren Ärger gegeben. Konventionalstrafen, die ziemlich hoch waren, denn Estelle war gebucht worden, und man verlangte von ihr, daß sie Termine einhielt.
    Sie öffnete den rehbraunen Mantel und wickelte den blauen Kaschmirschal von ihrem Hals weg.
    Zugleich ruckte der Zug an, und sie hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Mit dem linken Ellbogen rutschte sie noch an einer Scheibe entlang, dann hatte sie sich wieder gefangen und wandte sich nach rechts.
    Sie war bereits in die erste Klasse eingestiegen, befand sich im entsprechenden Wagen und brauchte nur noch ihren reservierten Platz zu suchen. Auf einen Platz im angehängten Schlafwagen hatte sie verzichtet. Estelle war es gewohnt, auch im Sitzen zu schlafen. In ihrem stressigen Modeljob lernte man es, jede freie Minute auszunutzen.
    Sie war gelaufen und etwas außer Atem. Die Kapuze ihres Mantels war nach hinten gerutscht. Dicht vor dem Fenster blieb sie stehen und schaute ihr Gesicht an. Es malte sich als schwaches Spiegelbild ab. Für einen Moment erschrak die Sechsundzwanzigjährige, weil sie das Gefühl hatte, daß ihr Gesicht von der Scheibe aufgesaugt wurde. Die Züge glitten in das Material hinein, als wollten sie sich mit ihm vereinigen. Estelle war irritiert denn dieser seltsame Vorgang war ihr nicht zum erstenmal passiert. In der letzten Zeit war sie des öfteren damit konfrontiert worden. Immer wenn es geschah, verspürte sie in ihrem Innern ein ungewöhnliches Prickeln.
    So auch jetzt.
    Zugleich kam sie sich so leicht vor. Wie angehoben und über dem Boden schwebend, während der Zug den Bahnhof bereits verlassen hatte und durch Vorstädte rollte. Deren Lichter wischten ebenfalls in die Scheibe hinein, um sich dort mit ihrem Gesicht zu vereinigen, so daß ein ungewöhnliches Muster entstand.
    Estelle Crighton wußte, daß sie eine Verwandlung durchmachte. Nur war es ihr nicht möglich, sich einen Reim darauf zu machen. Es gab einfach keine Erklärung dafür. Als sie die Augen schloß, da wurde sie fortgetragen. Zumindest kam es ihr vor, schneller zu sein als der Zug und im Gang zu schweben.
    Sie riß sich zusammen. Die Augen öffnen, noch einmal durchatmen. Okay, es klappte. Es war wieder alles normal. Plötzlich lächelte sie über sich selbst. Aber sie nahm sich auch vor, einen Arzt oder Spezialisten aufzusuchen, der sie untersuchte. Ein Neurologe wäre gut gewesen oder auch ein Psychiater.
    Die Nacht lag noch vor ihr. Eine Nacht, die sie im Abteil verbringen wollte. Von Glasgow bis London brauchte man schon seine Zeit. Sie hätte auch fliegen können, doch wenn eben möglich, mied sie diese Art zu reisen. Eine gewisse Flugangst, die von Jugend an in ihr steckte, war auch jetzt noch vorhanden.
    Sie hoffte, daß der Zug um diese Zeit nicht so stark besetzt war, und sie noch einen Platz im Speisewagen fand. Etwas essen, dazu eine halbe Flasche Wein, auch ein Wasser, das würde ihr guttun.
    Estelle nahm den Koffer hoch. Er kam ihr jetzt leicht vor im Vergleich zur Schlepperei auf dem Bahndamm. Sie ging durch den Gang und passierte die einzelnen Abteiltüren. Um diese Zeit waren noch keine Vorhänge zugezogen worden, so daß sie einen Blick hineinwerfen konnte.
    Manche Abteile waren leer, andere wiederum waren nur schwach besetzt und in manchen saß nur ein Fahrgast. Die meisten schauten hoch, wenn sie den Schatten der vorbeigehenden Frau aus den Augenwinkeln wahrnahmen, und Estelle ging immer schnell weiter.
    Einige Schritte vor dem Erreichen ihres Abteils wurde sie nervös. Sie konnte sich vorstellen, nicht allein dort zu sitzen. Daß sie einen Begleiter bekam, der unter Umständen kein angenehmer Reisegenosse war. Die schlimmsten Ahnungen huschten ihr durch den Kopf. Vom stinkenden Penner bis hin zum Psychopaten. Plötzlich lag Schweiß auf ihrer Stirn. Sie stellte den Koffer ab und lehnte sich wieder gegen ein Fenster. Das Herz schlug schneller, das Blut stieg ihr ins Gesicht, und
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