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1086 - Der Vampir und der Engel

1086 - Der Vampir und der Engel

Titel: 1086 - Der Vampir und der Engel
Autoren: Jason Dark
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denn sie hatte ihren Namen nicht sagen wollen. Er war ihr einfach nur herausgerutscht, aber den Nachnamen verschwieg sie.
    »Schön, sehr schön. Estelle…«, er ließ ihn auf der Zunge zergehen. »Ich denke, daß wir beide noch viel Spaß miteinander haben werden. Hast du mich auch genau angeschaut?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Doch, das hast du, Estelle. Du willst es nur nicht zugeben. Du hast mich angeschaut, und du hast gesehen, wer ich bin. Einer, der etwas Besonderes von einem Menschen will und…«
    Sie sprang auf. Endlich - endlich hatte sie es geschafft, die Lähmung abzuschütteln. Sie riß die Handtasche an sich und lief auf die Tür zu. Estelle reagierte zu heftig. Ihre Hand rutschte am Griff ab, und sie mußte noch einmal nachgreifen, um ihn zu fassen.
    Endlich ruckte auch die Tür auf, und Estelle stolperte in den Gang. Sie schaute nach einmal kurz zurück und sah das wissende Grinsen auf dem Gesicht des Mannes, der genau wußte, daß ihm das »Opfer« nicht mehr entwischen konnte.
    Sie wollte nicht in seiner Nähe bleiben. Weg, irgendwohin, wo sein Blick sie nicht mehr verfolgen konnte. Vergessen würde sie ihn sowieso nicht können. Es war etwas in ihm gewesen, für das sie keine Erklärung fand. Ein Wissen über bestimmte Dinge, wie bei einem Menschen, den man kennt.
    Sie begriff ihre Gedanken nicht. Den Mann ansehen zu müssen, war für sie wie eine Folter, und so hetzte sie durch den Gang zum Ende des Wagens hin, wo sich auch der kleine Toilettenraum befand. Estelle Crighton hatte Glück. Die kleine Kammer war nicht besetzt. Heftig wuchtete sie die leichte Tür hinter sich zu und lehnte sich zunächst mit dem Rücken dagegen.
    Sie brauchte Luft. Tief Atem holen. Sie mußte sich einfach beruhigen. Die Beine zitterten. Die kleine Kabine roch nach irgendwelchen Desinfektionsmitteln, und sie nahm den Geruch besonders stark wahr, als wäre sie von ihm eingeschlossen worden. Ihre Sinne waren übersensibilisiert worden, jede Pore der Haut schien riechen und schmecken zu können, was sonst nicht der Fall war. Die Angst hatte den Körper verwandelt, so daß sie ihn mit einem Sensor verglich.
    Noch immer stand sie an die Tür gelehnt, die sie abgeschlossen hatte. Was bin ich? Wer bin ich?
    Bin ich anders? Etwas ist mit mir. Sie konnte sich auf die gestellten Fragen keine Antwort geben.
    Wenn sie ehrlich war, mußte sie zugeben, sich selbst nicht richtig zu kennen oder durch ihr Inneres überrascht worden zu sein.
    Es war Quatsch. Es war Unsinn. Das gab es nicht. Sie redete sich da etwas ein, aber sie schloß es auch nicht mehr aus. Irgendwie war sie schon immer, anders gewesen. Möglicherweise war die Begegnung mit diesem Vampir kein Zufall gewesen.
    Ein Vampir! Einer, der das Blut anderer Menschen trank, um sich zu ernähren. Estelle wollte es nicht glauben, aber sie konnte auch nicht darüber lachen. Eine innere Stimme sagte ihr, daß sich dieser Mann nicht verkleidet hatte und kein künstliches Gebiß trug, um ihr Angst einzujagen. Da steckte schon mehr dahinter. Eine brutale und grausame Wahrheit, mit der sie bisher in ihrem Leben nicht konfrontiert worden war.
    Die Toilette, ein schmales Waschbecken, ein Spiegel darüber. An den Wänden Fächer für das Papier, mit dem sie ihre Hände abtrocknen konnte. Es war alles vorhanden, was der Benutzer benötigte. Das Fenster war mit einer Milchglasscheibe versehen. Man konnte von draußen nicht hinein sehen.
    Estelle Crighton drehte sich um. Sie wollte ihr verschwitztes Gesicht abkühlen und trat an das Waschbecken heran. Um Wasser kommen zu lassen, mußte sie mit dem Fuß auf eine Pedale drücken und pumpen. Sie tat es, hörte dem leichten Quietschen zu und starrte ansonsten ins Leere, denn sie hatte sich noch nicht getraut, einen Blick in den Spiegel zu werfen.
    Das Wasser floß in die Kuhle der zusammengelegten Hände. Sie spritzte es in ihr Gesicht und fühlte sich erfrischt. Es war kein Trinkwasser, und sie wollte auch keinen Tropfen davon zwischen die Lippen auf die Zunge bekommen. Es war ihr nur wichtig, das erhitzte Gesicht zu kühlen.
    Aus der Box zog sie wenig später die Papiertücher und trocknete sich ab. Sie rieb nicht durch ihr Gesicht, sie tupfte das Wasser nur ab. Wie nebenbei stellte sie fest, daß der Zug langsamer fuhr. Er würde bald in einen Bahnhof einlaufen und anhalten.
    Der größte Teil des Abends und auch die lange Nacht lagen noch vor ihr. Estelle fragte sich, wie sie die Stunden überstehen sollte. Sie würden ihr lang
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