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1086 - Der Vampir und der Engel

1086 - Der Vampir und der Engel

Titel: 1086 - Der Vampir und der Engel
Autoren: Jason Dark
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möchte mit einem Menschen Kontakt haben, wenn ich rede.«
    Die Hände fanden sich auf dem Tisch. Estelle legte ihre auf die des Reporters, und Bill spürte, daß die Haut zwar schweißfeucht, aber auch kalt war.
    Sie trank noch einen Schluck Wasser. Dann begann sie zu erzählen…
    ***
    »Es war so kalt an diesem Tag, bitterkalt. Aber die Tage und Nächte zuvor waren auch kalt gewesen. Geschneit hatte es nicht, nur an den Bäumen und Sträuchern schimmerte der Reif. Eine tolle Landschaft, die wir Kinder genossen. Meine Eltern lebten damals in einem kleinen Haus auf dem Land. Keine Großstadt. Viel Natur. Wir Kinder konnten unbeschwert aufwachsen. Wir genossen alle Jahreszeiten und auch den kalten Winter.« Sie hielt die Augen geschlossen, und ihr Mund war zu einem Lächeln verzogen. Sicherlich machte es ihr Spaß, über diesen Teil der Kindheit nachzudenken und zu reden.
    »Und weiter?«
    »Der Winter war so wunderbar. Und wir blieben auch nicht in unseren Häusern oder Wohnungen. Wir wollten nach draußen gehen, herumtoben und aufs Eis.«
    »Schlittschuh laufen?«
    »Nein, Bill. In der Nähe gab es einen recht tiefen Teich, der bei frostigen Wintern zufror. Darauf tobten wir herum. Wir bauten uns Schlitterbahnen so lang wie eine Straße. Es war einfach super, und das Eis war auch fest genug…«
    Sie stoppte plötzlich, schüttelte den Kopf. Es war zu sehen, wie ihre Augen feucht wurden.
    »Bis auf eine Stelle…« Sie faßte Bills Hand fester. »Das wußten wir nicht, und das wußte ich nicht. Ohne dieses Wissen lief ich auf die Stelle zu.« Ein Schauer durchzuckte sie. »Ich höre das Geräusch noch wie damals.«
    »Welches?«
    »Mit dem das Eis brach! Es war ein so lautes Knacken und Knirschen. Das hatte ich noch nie zuvor vernommen, aber ich wußte, was es zu bedeuten hatte. Ich war auch weit von den anderen Kindern entfernt, und plötzlich rutschte ich nach vorn. Es gab nichts mehr, das mich hätte halten können. Ich war einfach in den Sog hineingeraten. Ich wollte mich zurück oder zur Seite werfen, aber das schaffte ich nicht. Ich rutschte weiter und auch in die Tiefe.«
    »Ins Wasser?«
    Sie schüttelte sich. »Es war schrecklich, Bill. Es war so eisig. So kalt. Es war wie ein Gefängnis. Ich sackte ein, ich spürte keinen Grund unter meinen Füßen. Ich sah das Eis dicht an meinem Gesicht. Ich war eingebrochen, und die Ränder standen innen so zackig vor, als wollten sie in meinen Hals stechen. Dann habe ich auch geschrieen. Aber nur einmal, denn plötzlich drang das kalte Wasser in meinen Mund. Niemand hat mich gehört. Ich sackte weiter in die Tiefe, dem Grund entgegen, und es war furchtbar kalt. Ich hielt die Augen offen. Um mich herum war alles grün und grau, und ich wußte gar nicht mehr, wer ich war. Ich war auch so schwer geworden. Der Mantel hatte sich vollgesaugt, es gab nur das Wasser und die Kälte…«
    »Aber du bist nicht gestorben«, sagte Bill.
    »Nein, nein«, flüsterte sie vor sich hin. »Ich hätte eigentlich sterben müssen.«
    »Wer hat dich gerettet?«
    Sie schwieg.
    »Waren es die anderen Kinder, die es doch gesehen und dann Hilfe geholt haben?«
    »Nein, Bill!« hauchte sie.
    »Jemand muß dich aus dem eisigen Wasser gezogen haben, denn sonst säßen wir nicht hier.«
    »Ja, da gab es auch einen…«
    »Kannst du dich erinnern?«
    Sie fuhr wieder über ihr Gesicht. »Es fällt mir so schwer«, flüsterte sie. »Es ist einfach ungewöhnlich, und noch heute finde ich keine Erklärung dafür. Es war kein Kind, das mich rettete, und es war auch keiner, den ich kannte.«
    »Also kein Erwachsener?«
    »Nein.«
    »Wer war es dann?«
    »Jemand, den ich bis heute noch nicht kenne, Bill. Er war so stark, denn er packte mich unter und zog mich einfach aus dem Wasser, als wäre es nichts. Ich habe das alles nicht so mitbekommen, denn ich befand mich bereits in einem anderen Zustand…«
    »Warst du bewußtlos?«
    »Mehr als das…«
    Bill mußte sich räuspern, bevor er die nächste Frage stellte. »Bist du tot gewesen?«
    Sehr langsam hob Estelle die Schultern. Ihre Augen standen dabei offen, als wollte sie tief ins Jenseits hineinschauen. »Nein, ich glaube nicht. Wenn man tot ist, fühlt man ja nichts - oder? Aber ich habe etwas gefühlt und später auch etwas gesehen.«
    »Wann?«
    »Da war ich nicht mehr im Wasser. Ich habe die Augen geöffnet und erinnere mich jetzt, wie ich den blauen Winterhimmel mit seiner hellen Sonne hoch über mir gesehen habe. Aber nur für einen Moment, dann
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