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099 - Das Hochhaus der Vampire

099 - Das Hochhaus der Vampire

Titel: 099 - Das Hochhaus der Vampire
Autoren: Thomas B. Davies
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Licht zurückgeworfen, und von den hohen Dächern stiegen die dünnen Abgasfahnen steil in den blaßblauen Himmel.
    Anns Absätze klapperten auf dem betonierten Weg, der zwischen den Hochhäusern durch das unbebaute Gelände führte. Seit Jahren lag hier schon Baumaterial herum, und Gras wuchs zwischen verrosteten Eisengeflechten, die man vergessen hatte. Die bunten Wegweiser, die zu den einzelnen Komplexen führten, hatten einiges von ihrem Glanz verloren, aber man konnte die Zahlen und Buchstaben noch erkennen.
    Ann betrat Block B durch die automatische Tür.
    Sogleich war sie von der Atmosphäre der großen Halle gefangen. Sie vernahm die leise Musik, sog den Duft von Kunststoff und Isolieranstrichen ein und bemerkte den leichten Geruch von Ozon, der sich an Smogtagen immer bemerkbar machte.
    Die beiden Portiers hinter ihrem Pult blickten durch sie hindurch. Trotzdem war Ann sicher, daß sie sie genau gesehen hatten. Überhaupt fühlte sie sich in diesem Riesenbau stets beobachtet. Jerry lachte sie oft deswegen aus, aber auch er mußte zugeben, daß versteckte Fernsehkameras vorhanden waren, zur Überwachung des Betriebs in den Hallen und Lifts, wie es hieß. Einige davon waren sogar offen installiert, vor dem Portal zum Beispiel, und bei den Lifteingängen, andere vermutete sie in kleinen Öffnungen unter den Decken. Wer aber beobachtete sie? Wer saß irgendwo in diesem Riesenbau vor den Bildschirmen?
    Sie trat an die Wand mit den vielen hundert Postfächern. Durch den verglasten Schlitz sah sie, daß Jerry sein Fach noch nicht geleert hatte.
    Kurz entschlossen wandte sie sich nach links, wartete, bis ein Lift herunterkam und ein doppelter Glockenton aus dem Lautsprecher verkündete, daß er frei und auf der Fahrt nach oben wäre.
    Im Gang zu Jerrys Apartment war wieder die leise Musik.
    „Hallo, Mrs. Kant!“ grüßte sie eine Frau, die sich an einem Müllschlucker zu schaffen machte. Die schmale Grauhaarige mit den verkniffenen Zügen fuhr herum und maß sie von oben bis unten. Ann erwiderte den Blick und stellte fest, daß Mrs. Hilda Kants Hals noch faltiger geworden war. Außerdem hätte sie dringend ein Paar neue Strümpfe gebraucht.
    „Hallo, Miß Marley!“ gab sie zurück. Ihre Stimme war durchdringend.
    „Haben Sie Jerry gesehen?“
    Mrs. Kant nickte.
    „Gestern abend.“
    „Und seitdem nicht mehr?“
    Mrs. Kant schüttelte den Kopf.
    „Und er ist noch nicht wiedergekommen?“
    „Nein. Ich hätte es hören müssen; wenn er nur die Tür aufmacht, klappern bei mir die Möbel!“
    Ann nickte, sie wußte darüber Bescheid. Mrs. Kant hatte sich mit billigen Stahlmöbeln eingerichtet, die auf jeden Luftzug in dem vollklimatisierten Gebäude mit einem leisen Klappern antworteten. Jerry hatte einmal behauptet, es genüge, heftig zu niesen, um Mrs. Kant aufzuwecken.
    „Ich schau mal nach dem Rechten“, sagte sie leichthin und nestelte den Schlüssel aus ihrer Tasche. Mrs. Kant wußte, daß Jerry Boland seiner Verlobten einen Schlüssel zu seinem Apartment gegeben hatte, aber sie mißbilligte es immer noch. Mit einem Knall ließ sie den Verschluß des Müllschluckers zufallen und schlurfte davon.
    Ann schloß auf und betrat das Zimmer.
    Als erstes bemerkte sie die zerbrochene Tischlampe, deren Trümmer auf dem Spannteppich lagen. Dann fiel ihr auf, daß das Licht brannte. Sie schaltete es aus. Sie musterte die Bücher auf dem Tisch, streifte die Ginflasche mit einem Blick und überlegte. Jerry war offensichtlich in Eile aufgebrochen und, wie es aussah, mit der Absicht, bald wiederzukommen. Andernfalls hätte er wenigstens das Licht ausgeschaltet. Aber was hatte er vorgehabt?
    Die Lampe brachte sie auf eine Idee. Vielleicht hatte Jerry das Kabel reparieren wollen und war hinuntergefahren zur Hausmeisterei, um sich Werkzeug zu borgen? Das konnte eine Erklärung sein. Ob ihm dabei etwas zugestoßen war?
    Ann beschloß, sich Gewißheit zu verschaffen. Sie nahm einen Lift und fuhr hinunter zum dritten Tiefkeller. Irgendwann hatte ihr Jerry einmal von den überwältigenden technischen Einrichtungen des Hochhauses vorgeschwärmt, und sie wußte, wo sie die Zentrale zu suchen hatte.
    Auch sie wurde von der Atmosphäre des dämmrigen Maschinensaals berührt. Ihr Puls begann schneller zu schlagen, als sie den Mann im weißen Kittel sah, der vor der Schaltwand stand. Er blickte sie fragend an. Vermutlich waren junge, hübsche Mädchen hier unten selten anzutreffen.
    „Einen Mr. Boland?“ gab er verwundert zurück,
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