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Dawning Sun (German Edition)

Dawning Sun (German Edition)

Titel: Dawning Sun (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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    Dawning Sun
Sandra Gernt
     
1 .
„Gib ab!“
„Hier rüber!“
„Luca steht frei, mach schon!“
„Lauf!“
„JAAA!“
Josh jubelte über sein dreiunddreißigstes Tor in dieser Handballsaison. Das vierte in diesem Spiel.
Seine Mannschaft jubelte mit ihm. Hendrik warf sich ihm um den Hals, Sebastian wuschelte ihm durch die hellbraunen ohrläppchenlangen Haare, Andi und Ruben klopften ihm den Rücken. Sofort ging es weiter, mit schnellen Pässen, vollem Laufeinsatz und rücksichtslosen Würfen auf das gegnerische Tor. Am Ende siegten sie mit 34:22, und damit eindeutig. Ein Schritt näher an die Spitze der Kreisliga. Applaus des Publikums, ausgelassene Freudentänze, Feierlaune und Jubelschreie … Alles wie immer. Nur für Josh nicht. Seit einer Woche war gar nichts mehr wie immer.
     
In der Kabine dauerte es nicht lange, bis die ersten Seitenblicke seiner Mannschaftskameraden in seine Richtung huschten. Man rückte von ihm ab, bemüht unauffällig. Das Lächeln verkrampfte. Unnatürliches glaub-nicht-ich-hätte-ein-Problem-Getue. Offene und verborgene Ablehnung. Einige wenige, die kein echtes Problem hatten, aber nicht wussten, wie sie sich in der Gruppe verhalten sollten.
Vor einer Woche war Josh geoutet worden. Gegen seinen Willen. Mitten auf dem Schulhof, damit es auch wirklich jeder mitbekam. Leon, diese falsche Ratte …
Josh ballte die Fäuste bei der Erinnerung an das Grinsen im Gesicht seines ehemals besten Freundes. Seit der fünften Klasse hatten sie fast täglich zusammengehangen. Sie waren gemeinsam durch Lateinprüfungen, Stimmbruch und den von ihren Eltern aufgezwungenen Tanzkursen marschiert. Josh war so sicher gewesen, dass Leon zu ihm stehen würde, komme, was wolle. Zu sehr hatte er geglaubt, dass wahre Freundschaft durch nichts zu erschüttern war. Andernfalls hätte er niemals sein so sorgfältig gehütetes Geheimnis offenbart. Verraten, dass er schwul war und bloß so getan hatte, als würde er den Mädchen hinterher schauen. Herrgott, sie lebten im 21. Jahrhundert! Es gab überall schwule Politiker, Schauspieler, Sänger. Schwule und Lesben tauchten wie selbstverständlich in Fernsehserien und Büchern auf. Alles kein Problem. Bis auf ein paar ewig Gestrige, die aus der Homophobie-Ecke nicht rauskommen wollten, waren doch alle aufgeklärt und tolerant …
Wach auf, willkommen im wahren Leben!, dachte Josh zynisch. Er hatte durchaus gewusst, dass es nicht so leicht sein konnte. Dass die Toleranz bei vielen nur Lippenbekenntnisse waren. Wozu sonst jahrelang geheim halten, wie er wirklich war? Wozu mitlachen, wenn sich seine Klassenkameraden über Tunten und Schwule ausließen? „Schwul“ mit lächerlich, schlecht, widernatürlich, ekelhaft gleichsetzten und es bei jeder Gelegenheit als Schimpfwort benutzten? Wenn selbst Erwachsene mit guter Allgemeinbildung und allgemeinem hohen Niveau unbedacht über Schwule herzogen, ohne zu merken, was sie da eigentlich sagten?
Sie hatten ihn ausgelacht. „Schwuli“ und „Homo“ genannt. Ihn geschubst, mit Worten und Blicken gedemütigt. Josh war schlagartig vom akzeptierten stillen Außenseiter zum Freak mutiert. Zum Alien geworden nach diesen schicksalhaften Worten, die Leon süffisant in eine von verächtlichen Untertönen belastete Diskussion über Homosexualität eingeworfen hatte:
„Der da is’ auch so einer.“
Mehr war nicht geschehen. Zunächst. Fünf Minuten hatten sie ihn ausgelacht und geschubst, danach waren sie zusammen zum Unterricht zurückmarschiert. Es wurde getuschelt. Gekichert. SMS verschickt. Leon hatte sich demonstrativ auf einen anderen Platz gesetzt. Das war alles.
Es hatte keinen halben Tag gedauert, bis es rund war. Ihr Städtchen war zu groß, um Dorf geschimpft zu werden und zu klein, um einen Skandal auslassen zu können. Ja, der Sohn vom Stadtkämmerer und Elli, die mit dem Blumenladen an der Hauptstraße, ganz genau. Der lange Schmale. Der Handballer. Der Bruder von dem Sascha, der mit dem 1er-Abi und dem Motorrad. Der Enkel vom alten Fritz, der mit dem Schrebergarten, wo die Birnen und Äpfel über den Zaun wachsen. Der Josh, der ist auch so einer .
     
Am nächsten Tag hatten Lippenstift und Nagelack auf seinem Tisch gestanden. Josh hatte das Gekicher ignoriert, gefragt, wem die Sachen gehörten und sie dann stumm als Fundstücke zum Hausmeister getragen.
Mittags folgte das Gespräch mit seinen Eltern:
„Man erzählt sich da …“
„Es stimmt, Mama.“
„Seit wann denn?“
„Soweit ich weiß, schon immer,
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