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Dawning Sun (German Edition)

Dawning Sun (German Edition)

Titel: Dawning Sun (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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Seine Anwesenheit fühlte sich neutral an, wie bei einem Arzt oder Krankenpfleger. Genau das war wohltuend.
„Danke“, murmelte Josh, als er in seine Sneaker schlüpfte. „Für alles.“
Tom lächelte scheu und griff nach seinem Mantel.
„Ich kam vorbei und bemerkte vier Typen, die aus der Halle kamen und ziemlich hektisch miteinander diskutierten“, murmelte er hastig, den Blick zur Seite gewandt. „Einer sah aus wie Leon, wegen der roten Jacke und den blondierten Haarsträhnen. Ich war mir nicht wirklich sicher, fand nur komisch, wie die nach hinten zur Halle wiesen und sich gegenseitig beschimpften. Und dass das Licht noch brannte, kam mir auch nicht richtig vor. Als sie weg waren, dachte ich, ich schau mal nach …“ Es klang fast, als wollte er sich entschuldigen, hergekommen zu sein.
„Hör mal, du solltest vielleicht doch besser ins Krankenhaus. Wenn dir der Kreislauf nachher wieder abgeht, das kann gefährlich sein.“
Tom besaß eine angenehme Stimme. Schade, dass er im Unterricht fast nie sprach. Und großartig, dass er solch ein Einzelgänger war. Es stand nicht zu befürchten, dass Tom etwas von dem Geschehenen irgendjemandem erzählen würde. Josh konnte sich jetzt übers Wochenende erholen. Am Montag … Er würde Leon, Nico und den anderen aus dem Weg gehen. Tom würde sich von ihm fernhalten. Es bestand gute Aussicht, dass alles irgendwie wieder in Ordnung kommen würde.
Wenn ich es mir oft genug vorspreche, werde ich es sicher glauben!
„Josh? Krankenhaus?“
„Nein, ich – bitte nicht. Ich will einfach nur nach Hause“, flüsterte er kläglich.
„Bist du zu Fuß hier?“
Josh nickte. Draußen war es dunkel. Dunkel und kalt, wie es sich für einen vierzehnten Januar gehörte. Bei dem Gedanken, da raus zu müssen, hätte er schreien können.
„Ich fahr dich nach Hause.“
Tom führte ihn voran, schob ihn energisch durch die Hallentür nach draußen. Eisige Luft, orangefarbenes Straßenlaternenlicht, Stille. Josh war dankbar, dass er nicht den knappen Kilometer bis nach Hause laufen musste, sein Körper fühlte sich an, als hätte ein Panzer darauf geparkt. Das reißende Brennen in seinem Unterleib, im Wechsel mit glühendem Pochen, war die Hölle. Schon die wenigen Schritte zum Wagen, den Tom auf dem Schulhof geparkt hatte, genügten, um ihn an die Grenzen seiner Kraft zu treiben, und ohne Hilfe hätte er es nicht geschafft.
Tom fuhr einen klapprigen Ford, der mehr Rost als Lack besaß. Der Beifahrersitz war vollgekramt mit Büchern und Zeichenutensilien. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Josh sich dafür interessiert und gefragt, ob er die Zeichnungen ansehen dürfe. Er besaß wenig eigenes Talent und bedauerte es sehr, denn er liebte die Malerei. Heute begnügte er sich damit, sich ächzend und wimmernd auf die Pobacke zu setzen, die weniger zerschlagen war, die Tasche mit seinen Sportsachen zu umklammern und seitlich verdreht aus dem Fenster zu starren.
Ein Taschentuch lag plötzlich auf seinem linken Oberschenkel. Josh wischte sich die beschämenden Tränen ab und schnäuzte die Nase frei.
„Holunderweg 18“, murmelte er, als er Toms Blick spürte. Der Motor dieser alten Karre startete überraschend willig. Sofort sprang der CD-Player an. Josh brauchte einen Moment, um die Frauenstimme als Tarja Turunen zu identifizieren und „Sleeping Sun“, einen älteren Nightwish-Song, zu erkennen. Es verwirrte ihn, dass Tom solch gefühlvolle Balladen hörte – standen Goths nicht eher auf härteres Zeug? Aber nun, was wusste er schon von diesen Leuten, außer, dass sie sich dunkel kleideten und fasziniert von Finsternis und Tod waren? Und selbst damit war er sich nicht sicher.
„Ich kann’s ausmachen“, sagte Tom und hob bereits die Hand zum Ausknopf.
„Nein!“ Rasch fing Josh ihn ab. Tom keuchte leise und zuckte vor ihm zurück. Ob ihm die Berührung unangenehm war? Vorher hatte er doch auch keine Probleme gehabt, den Homo anzufassen?
„Ich mag das Lied, lass es bitte.“ Josh krampfte die Hand vor Verunsicherung in den Stoff der Sporttasche und gab sich dann mit geschlossenen Lidern der Musik hin. Alles, was vom Schmerz ablenkte, war gut. Die Stimme der Sängerin kroch ihm regelrecht unter die Haut, sie ließ ihn schaudern.
     
… Sorrow has a human heart …
     
Leid hat ein menschliches Herz … Diese Strophe hatte er schon immer geliebt. Wie lange hatte er den Song nicht mehr gehört! Ja, es gab kein Leid, das nicht von Menschen verursacht wurde. Josh beschloss auf der Stelle,
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