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099 - Das Hochhaus der Vampire

099 - Das Hochhaus der Vampire

Titel: 099 - Das Hochhaus der Vampire
Autoren: Thomas B. Davies
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Ventilatoren. Von der anderen Seite kam das Fauchen unzähliger Ölbrenner. In regelmäßigen Abständen schlug eine feine, helle Glocke an.
    Jerry wand sich zwischen den grauen Schränken einer elektrischen Schaltanlage hindurch und stand plötzlich im Lichtkreis eines großen, halbrunden Regelpults. Im Sessel lag ein riesiger Neger, halbnackt bis auf die Hose und ein armeefarbenes Leibchen, das die struppigen, grauen Haarbüschel auf der Brust nicht verbarg. Der Alte schwang auf seinem Drehstuhl herum. Über den glitzernden Augen wölbten sich dicke Wulste, die Nase war breit und fleischig, und als sich der Mund zu einem breiten Grinsen verzog, kam eine Doppelreihe starker, weiß schimmernder Zähne zum Vorschein.
    „Na, Söhnchen“, fragte er, „willst du mich mal besuchen?“
    Er beugte sich weit über die rechte Armlehne nach unten, ergriff eine Bierbüchse und riß sie mit den Zähnen auf. Mit weit zurückgelehntem Kopf ließ er das Bier in sich hineinlaufen. Dann warf er die Büchse in hohem Bogen fort. Im Dunkel fiel sie scheppernd auf einen ganzen Haufen ebenfalls leerer Büchsen.
    „Magst du auch eine?“ fragte er und zeigte auf den Karton zu seinen Füßen. Jerry Boland schüttelte den Kopf.
    „Danke. Da ist … ich habe etwas im Luftschacht gesehen“, begann er stockend. „Ich meine, in meinem Zimmer, hinter dem Gitter vom Luftschacht. Ein Gesicht, ich habe es deutlich gesehen.“
    Der Alte fixierte ihn, dann nickte er.
    „Das kann passieren“, sagte er gutmütig. „Kommt meist vom Saufen. Trink noch ein Bier mit mir und geh dann zu Bett.“
    „Aber ich kann es beschwören!“ sagte Jerry drängend. „Da ist etwas im Schacht, im Kamin. Ich habe es schon öfter gehört, und heute habe ich es gesehen. So groß wie ein Kind, ganz bleich und mit runden, halb blinden Augen! Glauben Sie mir!“
    „Quatsch!“ sagte der Alte. Er stand langsam auf und wuchs dabei fast ins Riesenhafte. „In meinen Schächten gibt es kein Kind!“
    Jerry wandte den Blick von dem wuchtigen Neger. Da war die Wand mit den grünlich schimmernden Skalen der Meßinstrumente. Meterdicke Rohre kamen aus der Mauer und führten irgendwohin. Und da war eine große Scheibe aus durchsichtigem Kunststoff, die fast eine Querseite des Raumes einnahm. Dahinter türmte sich, fest gepreßt, der Abfall aus den vielen Müllschluckern, die alle hier mündeten, Büchsen und Plastiktüten und unkenntliche Fetzen. Jerry streckte die Hand aus und rief: „Da ist es ja wieder! So sehen Sie doch!“
    An der Spitze der Müllpyramide hinter dem Glas erschien ein dünnes, weißliches Ärmchen. Ein übergroßes Gesicht tauchte auf mit blutlosen Lippen und flachen, tiefroter Augenscheiben. Jerry Boland war wie erstarrt. Die Szene begann vor seinen Augen zu tanzen, rote Schleier wogten vor ihm, ein Funkenregen stob auf, und dann fiel er ermattet zurück.
    Der alte Neger betrachtete den reglosen Jungen, den er im Arm hielt, und rieb die Hand an der Hose.
    „Sorry, mein Söhnchen“, brummte er. „Hab ich dir weh getan? Das mußte so sein, auch wenn du’s noch nicht verstehst!“
    Er zog den schlaffen, bewegungslosen Körper hinter sich her und bettete ihn in einem kleinen Verschlag auf alte Teppiche und zerschlissene Polster.
    Dann ging er zur Schaltwand und nahm einen Telefonhörer aus der Gabel. Mit seinen dicken, braunen Fingern tippte er eine Nummer auswendig auf die Zahlenknöpfe und horchte.
     

     
    Ann Marley war zum Mittagessen mit Jerry verabredet gewesen, aber sie hatte sich nicht viel dabei gedacht, als er nicht in der kleinen Snackbar erschien, wo sie zuweilen ihren Imbiß nahmen.
    Am Nachmittag rief sie bei ihm an, mußte jedoch feststellen, daß er auch nicht zu Hause war. Sie traf ein paar seiner Kollegen, die ihn an diesem Tag noch nicht gesehen hatten, und da wurde sie allmählich besorgt. Unbedingte Zuverlässigkeit war nicht gerade Jerrys Stärke, aber wenn er eine Verabredung nicht einhalten konnte, gab er doch zumindest Nachricht, oder erschien spätestens nach einer Stunde mit schuldbewußtem Gesicht.
    Ann wartete noch die 16.00-Uhr-Lesung ab, konnte sich aber da schon nicht mehr auf den Vortrag konzentrieren und beschloß, später bei irgend jemandem abzuschreiben, was gesagt worden war.
    Dann raffte sie ihre Bücher zusammen, sprang in den Bus und fuhr durch die halbe Stadt hinüber zu den Woodcroft Mansions.
    Die Wohntürme waren von der schräg stehenden Sonne beschienen. Aus Tausenden gleichförmiger Fenster wurde das
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