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098 - Horrortrip ins Tal der Toten

098 - Horrortrip ins Tal der Toten

Titel: 098 - Horrortrip ins Tal der Toten
Autoren: Jens Orlik
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ermahnten die Gäste, nicht an den Wänden zu kratzen.
    „Historisch möbliert, wäre alles noch wirkungsvoller gewesen. Aber dann“, meinte Erdmann ironisch, „hätten Sie mir sechseinhalb Franc pro antike Bettstatt zahlen müssen.“
    „Für moderne Europäer sind mittelalterliche Betten zu kurz. Sie müßten das von Ihren Vorfahren wissen. Haben Sie nie ein altes Kettenhemd anprobiert?“
    „Ich halte mich lieber an meinen Londoner Maßschneider.“
    Henry nickte. „Dann sind sechs Franc genug.“
    Die Inspektion war zufriedenstellend.
    Man trank im Rittersaal Tee.
    Der Kleinbus mit den Schauspielern traf ein.
    Erster Grund für Henry, sich zu ärgern. Für den vierten Schauspieler, der seit heute vormittag mit Gelbsuchtverdacht im Krankenhaus lag, war Ersatz eingesprungen: eine Frau.
    „Das wird Knochenarbeit, was wir hier vorhaben“, schimpfte er. „Als Frau halten Sie das nicht durch.“
    „Ich bin zäh“, meinte sie trotzig.
    Brigitte Moulin war ein junges Ding mit langem, braunen Haar, Schmollmund und jenem blaßblauen Dummchenblick, von dem sich sexbesessene Männer alles versprechen. In ihrem Jeansanzug steckten lange Beine. Sie schien etwas dünn zu sein und lehnte jetzt schlaksig am Rahmen der Tür.
    „Monsieur Dayton, ich… brauche das Geld.“
    „Ich sollte Sie mit dem Busfahrer zurückschicken.“ Aber er wurde weich. „Na gut! Tun Sie Ihr Bestes!“
    Gaston war ein ältlicher Maskenbildner mit rotem Gesicht. Ihm wuchsen Haare aus der Nase. Fünf Koffer schleppte man in sein Studio, wie er es nannte. Dann begann seine Arbeit, aus Brigitte, Jean, Robert und Alfonse grauenerregende Monster zu machen.
    „Keine klassischen Figuren wie Dracula oder Frankenstein“, entschied Henry. „Unsere Monster sind Tote, die aus ihren Grüften steigen. Sie können so stark nach Verwesung riechen wie die Winkel dieser Burg. Nackte Schädel, Knochenhände und modernde Lumpen. Klar?“
    „Alle vier so?“ fragte Gaston erstaunt und sah ihn durch den Qualm seiner Zigarette an. Sie hing im linken Mundwinkel. Hing dort immer. „In Paris meinten Sie noch, wir sollten auch Dracula … Ich habe extra einen Frack mit.“
    Henry sah zu Boden. Er bewegte die Zehen in den Stiefeletten und suchte seine Taschen nach der Shagpfeife ab. Für einen Moment war er um die Antwort verlegen.
    Gaston hatte recht. Wieso gebe ich, ohne zu überlegen, jetzt ganz andere Anweisungen?
    „Ich finde, es paßt am besten in diese Umgebung.“
    Gaston nickte. „Dann fange ich mit Brigitte an.“
    Als um halb sieben der Bus eintraf, war das Tal schon zugedeckt mit den langen Schatten der Berge. Nur die Grate zeigten noch einen goldenen Rand, über dem das Violett des Himmels wie ein Deckel lag. Kühle stieg aus dem Boden. Der Burghof war voller Leben. Achtunddreißig Gäste, alle voller Erwartung.
    Henry und Madeleine hatten viel zu tun. Verteilung der Zimmer. Das Gepäck. Die ersten Beschwerden, weil Wasserhähne tröpfelten. Der Fahrer stärkte sich mit doppeltem Mokka, zündete eine Zigarette an und fuhr eine Ehrenrunde um die Zisterne, bevor der komfortable Reisebus mit Zentimeterarbeit durchs Burgtor entschwand.
    Henry hatte eine Verschnaufpause.
    Er stand in dem Wehrgang, links des Burgtors, beugte sich über den bröckligen Stein einer Scharte und sah dem Bus nach.
    Die Scheinwerfer brannten noch nicht. Der Bus fuhr rasch. Eine Staubwolke lag hinter ihm. Jetzt hatte er den Talknick erreicht. Henry wandte sich ab.
    Er roch an den Holzschindeln, die den Wehrgang überdachten. Jahrhundertelang hatten sie der Witterung getrotzt. Aber nach gespeicherter Sonne rochen sie nicht, eher nach Schimmel.
    Er sah auf die Uhr. Im Rittersaal war zum Abendessen gedeckt. Er wußte nicht, was es gab. Daß er Madeleine ein Pilzomelette avisiert hatte, war Scherz gewesen.
    Von den Gästen kannte er bislang nur die Namen. Er war gespannt auf sie. Den Schauspielern hatte er einen perfekten Gruselplan ausgearbeitet, dabei alle Räumlichkeiten von Schloß Laydell ausgenutzt. Der Plan bot noch genügend Gelegenheit zur Improvisation.
    Henry klopfte seine Shagpfeife an einem Holzbalken leer, pustete durch den Stiel und wollte zurückgehen.
     

     
    Nichts rührte sich. Die Stille des Laydelltals reichte in die Unendlichkeit des Universums empor.
    Kein Geräusch. Das Hämmern in der Dorfschmiede verstummte. Der Wasserfall an der Nordwand des Tals, eben noch gurgelnd und zischend, schien hinter einer Wand aus Panzerglas zu verstummen.
    Farben tauchten
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