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0911 - Nachtgestalten

0911 - Nachtgestalten

Titel: 0911 - Nachtgestalten
Autoren: Simon Borner
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Wii noch zu, dann trat er hinaus auf die Straße und ins Sonnenlicht. Selbst gelangweilt auf dem Bellecourt abzuhängen war besser als dieser Blödsinn hier.
    ***
    Lyon zeigte sich an diesem Frühlingsvormittag genau so, wie er es kannte und hasste: idyllisch. Die mit ihren knapp 500.000 Einwohnern immerhin drittgrößte Stadt des Landes hatte so etwas Beschaulich-romantisches, dass es Luc fast zum Kotzen bringen konnte. Selbst jetzt, vor der eigentlichen Hauptsaison, fluteten wieder zahllose Touristenströme die historische Altstadt, saßen sonnenbebrillte Mittvierziger in den brasseries und vor den Cafés und schlenderten entzückt über die Brücken, welche die Rhône und Saône überquerten. Menschen wie seine Eltern, die das Leben für eine Ansichtskarte hielten, wie man sie Freunden aus dem Urlaub schickte. Menschen, die Harmonie brauchten wie die Luft zum Atmen. Und für die war Lyon mit seinen alten Bauten, die zum Weltkulturerbe gehörten, den kleinen Gassen und dem kulturellen Leben einfach das perfekte Bild. Hier, wo jede Straßenecke einen Fotografen zu künstlerischen Höhenflügen inspirierte, konnten sie in der Ansichtskarte leben, und sei es auch nur für die Dauer ihrer Ferien.
    Gut, dass es Etienne gab. Ihn und die Clique. Irgendjemand musste dieser Kitsch-Gesellschaft schließlich den Spiegel der Realität vorhalten.
    Seit Monaten schon pilgerte Luc jeden Tag auf den Place Bellecourt, um mit Etienne und den anderen abzuhängen. Sie tranken billigen Wein, laberten Passanten dumm an, machten die Nacht zum Tage und gaben sich auch sonst jede Mühe, dem Klischee Lyon einen gründlichen Riss zu verpassen. Luc war mit seinen vierzehn Lenzen mit Abstand der Jüngste in ihrer Gruppe, aber er fühlte sich in der Gesellschaft von Etienne, Natasha und dem Rest dieser »Nachtgestalten« einfach entschieden wohler als zu Hause, wo ihm Vater wegen seiner schulischen Leistungen blöd kam und maman in der Küche seufzte, wann immer Luc die Wohnung betrat.
    Luc schüttelte den Kopf, um den Gedanken loszuwerden, und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Er brauchte einen Plan, wie er sich die Zeit bis zum Mittag vertreiben konnte. Langsam blickte er nach rechts und links, über die Schaufenster und Fassaden, und ließ den Anblick, den ihm die Straße bot, auf sich wirken. Dienstagmorgen in der Innenstadt , dachte er und blickte einer Frau hinterher, die mit dicken Plastiktüten beladen aus einer Modeboutique kam. Da wird sich schon was ergeben, oder?
    Plötzlich hörte er das Klingeln der Tür hinter sich, die in die Spielhalle führte, und dann stand auch schon Mathieu vor ihm. Der hatte gerade noch gefehlt.
    »Na, endlich k.o. geschlagen?«, fragte Luc betont gelangweilt.
    Der jüngere Bursche kniff die Augen gegen die Sonne zu. »Was machsten jetzt?«
    »Nichts mit euch, so viel ist mal sicher.« Luc zog die Nase hoch und spuckte auf den Bürgersteig. Im Augenwinkel registrierte er befriedigt, wie Mathieu daraufhin das Gesicht verzog.
    »Ich dachte nur«, sagte der Jüngere und konnte sich eines breiten Grinsens nicht mehr erwehren, »du hättest vielleicht gerne dein Geld.«
    »Und was für'n Geld soll das sein?«
    Mathieu strahlte jetzt - was seinem eher dümmlichen Gesichtsausdruck in Lucs Augen nicht gerade zum Vorteil gereichte -, griff in seine Hosentasche und zog einen Haufen Kleingeld hervor. »Das hast du gewonnen. An dieser Wahrsagemaschine. Kam raus, als du gerade verschwunden warst.«
    Anerkennend pfiff Luc durch die Zähne. Das waren gut und gerne zehn Euro, in handlichem Hartgeld. Wenn er es gut anstellte, könnte er damit genügend Wein einkaufen, um die ganze Clique zu versorgen. »Na, da dank ich doch!«, sagte er und nahm die Münzen an sich, als ihm ein kleiner Plastikchip auffiel, der zwischen ihnen steckte. Luc zögerte.
    »Ach, das«, sagte Mathieu und winkte ab, als er Lucs Blick bemerkte. »Nicht weiter wild. Das ist die Weissagung des Maschinenorakels. Taugt aber nichts, ich hab's schon gelesen. Jeder Glückskeks ergibt mehr Sinn.«
    Luc drehte den Chip zwischen den Fingern und sah, dass auf seiner Rückseite ein Satz geschrieben stand. »Ne t'envole pas trop loin, mon petit prince«(Flieg nicht zu weit, mein kleiner Prinz), las er laut. »Was für'n Quatsch!« Dann steckte er auch ihn in die Hosentasche, winkte Mathieu noch einmal zu und machte sich auf den Weg zur U-Bahn-Station.
    ***
    Als er die Frau seines Lebens sah, war Luc Curdin noch keine zwei Blocks weit gekommen und mit
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