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0911 - Nachtgestalten

0911 - Nachtgestalten

Titel: 0911 - Nachtgestalten
Autoren: Simon Borner
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Fernbedienung der Wii-Konsole umklammert hielt, könnte man meinen, dass sein Leben von ihr abhinge - und nicht der Sieg einer fiktiven Figur in einem Sport-Computerspiel.
    Es war erstaunlich, wie ernst Jean dieses Spiel nehmen konnte. Auch Mathieu, der dritte in ihrem Bunde an diesem Vormittag und Jeans momentaner Gegner, schien von dem virtuellen Boxkampf begeistert, den er gerade verlor. Luc verstand sie beide nicht.
    Gelangweilt fuhr er sich durch das dichte, schwarze Haar, atmete ein und sah sich lustlos in der kleinen Spielhalle um. Er mochte den Geruch hier, dieses dauerpräsente Gemisch aus abgestandenem Zigarettenrauch, Schweiß und vergessenen Träumen, das so anders war, als das frische und sonnige Lyon, das sich direkt draußen vor der Tür befand. Leider war die Wii das Einzige im maison de jeux , das in seinen Augen überhaupt etwas taugte. All die einarmigen Banditen, die an den Wänden hingen und an denen Abend für Abend die gleichen abgewrackten Gestalten ihr letztes Kleingeld verzockten, interessierten ihn genauso wenig wie die zwei Flipper-Automaten in der Ecke, die aussahen, als hätten sie schlicht vergessen, brav auszusterben, wie es die Mode von ihnen erwartete. Den Le-Mans-Fahrsimulator hatte Luc schon so oft gespielt, dass er ihm aus den Ohren heraushing, und den restlichen Kram fand er schlicht kindisch. Einzig der Billardtisch in der Raummitte hätte ihn noch begeistert, war aber schon seit Tagen kaputt.
    »Wehr dich doch, du Idiot«, rief Jean, schwang den rechten Arm durch die Luft und schlug erneut zu. Das programmierte Publikum applaudierte begeistert, und um den Kopf von Mathieus Spielfigur kreisten Sterne. Wie ein Grenzdebiler sieht Jean aus mit seinem Rumgefuchtele , dachte Luc und hob eine Augenbraue. Warum hatte er noch mal eingewilligt, mit den beiden Nachbarskindern hierher zu gehen? Es war gerade mal zehn Uhr morgens und außer ihnen und dem Muttchen am Eingang war kein Mensch anwesend. Luc musste einen Aussetzer gehabt haben, als er sich Jean und Mathieu angeschlossen hatte. Er konnte die zwei Deppen ja noch nicht einmal leiden.
    Aber so früh am Tag waren Etienne und die anderen noch nicht auf dem Bellecourt, das wusste er. Vor Mittag brauchte er da gar nicht aufzutauchen. Und bevor er daheim blieb und sich von seiner Mutter zum x-ten Mal anhörte, wie enttäuscht sie doch von ihm war… Nein, selbst ein Vormittag mit den unerträglich doofen intellos von nebenan war besser als dieses alte Lied.
    Luc griff in die Tasche seiner abgewetzten und mit zahlreichen Buttons und Aufnähern verzierten Jeansjacke, holte ein Zwei-Euro-Stück heraus und ging zu dem kleinen Kassenhäuschen am Eingang der Spielothek. Die Alte hinter der Glasscheibe sah ihn mit deutlichem Missfallen an, als er ihr die Münze durch die Durchreiche schob. »Du weißt schon, dass ich euch von Gesetz wegen gar nicht hier spielen lassen darf, ja?«, sagte sie vorwurfsvoll. »Das ist kein Ort für Kinder.«
    Luc lachte humorlos auf. »Und du weißt, dass ich heute Abend mit Etienne und den anderen wiederkomme, falls du hier Stress machst. Sicher erinnerst du dich noch gut an unseren letzten Besuch. Ist die Toilette eigentlich wieder repariert?« Er musste die Frau nicht ansehen, um zu wissen, dass sie die Drohung verstand. Niemand legte sich gerne mit Etienne an. Etienne war cool; er war stark und ließ sich von keinem dumm anmachen. Wer es versuchte, musste mit den Konsequenzen leben. Und wie diese aussehen konnten, bewiesen im maison de jeux noch immer der Billardtisch und die zerbrochene Kloschüssel.
    Die Alte grunzte, sparte sich aber jeglichen weiteren Kommentar, während sie ihm für sein Geld Spielmünzen aus Plastik reichte. »Merci beaucoup«, sagte Luc übertrieben laut und schenkte ihr ein treudoofes Strahlen, das selbst der naive Mathieu als falsch erkannt hätte. Dann kehrte er zurück zu den Automaten.
    Minuten später wünschte er sich die zwei Euro wieder. Er hatte sich zunächst an der Slotmachine, dann am Flipper und nun an diesem neuen Apparat versucht - einem billigen Jahrmarkt-Kasten, der einem laut Aufschrift die Zukunft voraussagte, wenn man nur die richtigen Zahlen eintippte - und keinen Cent gewonnen. Jean und Mathieu beachteten ihn gar nicht mehr, so sehr waren sie in ihr eigenes Spiel vertieft.
    »Ach, Scheiß drauf«, sagte Luc, als die Wahrsagemaschine mit lautem Gepiepse abermals zu einer sinnlosen Runde ansetzte, wandte sich ab und ging. »Ich hau ab«, rief er den Idioten an der
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