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0911 - Nachtgestalten

0911 - Nachtgestalten

Titel: 0911 - Nachtgestalten
Autoren: Simon Borner
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bedeckten die Wände. Am offenen Fenster, durch welches die kühle Nachtluft hereinwehte, stand ein Teleskop. Und der hufeisenförmige Tisch, welcher nahezu das ganze Zimmer dominierte, war über und über mit Büchern, Ausdrucken und natürlich diversen Computermonitoren übersät. Nicole wusste, dass Zamorra von hier aus direkten Zugriff auf den beeindruckend leistungsstarken Superrechner hatte, der sich im Château befand.
    Der Kopf des Professors erschien hinter der Reihe von Monitoren, die Nicole die Sicht auf die hintere Zimmerhälfte erschwerten. Zamorra sah verwundert aus.
    »Ich dachte, du schläfst«, sagte er schlicht, als er sie sah. Dann weiteten sich seine Augen und ein schelmisches Lächeln schlich sich auf seine Züge. »Oder ist dir langweilig geworden?«
    Erst jetzt bemerkte Nicole, dass sie sich beim Verlassen des Schlafzimmers keinen Morgenmantel übergeworfen hatte und völlig nackt durchs nachtschlafende Haus gewandert war. Sie beschloss, Zamorras Bemerkung zu ignorieren. »Was machst du denn hier?«, fragte sie betont sachlich und bemühte sich, ein Gähnen zu unterdrücken. »Ist etwas passiert, das nicht bis morgen warten kann?«
    »Ja und nein«, antwortete der Professor mit einem leisen Seufzen, schob sich im Sitz nach hinten und rieb sich die Augen. Er wirkte müde. Mit der rechten Hand deutete er seiner Partnerin, auf seine Seite des Tisches zu kommen und selbst einen Blick auf die Monitore zu werfen. Nicole sah, dass sie Himmelskörper zeigten, Sternbilder und Planeten. Das müssen astronomische Aufnahmen sein , dachte sie, die von irgendwelchen Weltraumteleskopen stammen.
    Zamorra nahm einen schweren und sichtlich alten Wälzer vom Tisch und hielt ihn ihr hin. »William hat mich gestern darauf aufmerksam gemacht«, sagte er und wies auf die aufgeschlagene Buchseite, welche mehrere Tabellen und Skizzen von Sternkonstellationen zeigte. »Angeblich stehen die Sterne am südlichen Nachthimmel heute in einer Formation, die von Nostradamus vorausgesagt wurde.«
    Nicole hob eine Augenbraue. »Nostradamus.«
    »Genau der. William hat sich, aus welchen Gründen auch immer, in seiner Freizeit ein wenig durch die weniger bekannten Schriften des alten Apothekers und Wahrsagers gelesen und ist dabei auf diese Bemerkung gestoßen. Laut Nostradamus - zumindest nach einer der diversen Interpretationen dieser Textstelle - läutet diese Sternkonstellation ein Zeitalter der Tränen und des Wandels ein, in welcher die bestehende Ordnung untergeht und die Toten über die Erde wandeln.«
    »Alles klar«, sagte Nicole und atmete tief ein. »Und sag mir noch eins, Chef: Wann genau sind wir unter die Astrologen gegangen? Machen wir vielleicht bald auch einen Fernsehsender auf, bei dem wir den Leuten die Karten legen, oder so?«
    Zamorra lachte. »Du hast ja recht. Ich glaube selbst nicht an diesen ganzen Kram. Aber nach allem, was in letzter Zeit geschehen ist, dachte ich, es könne nicht schaden, auch auf derartige Dinge mal ein Auge zu werfen.«
    »Sagt dir dein Instinkt.« Nicole klang wenig überzeugt. So sehr sie den Professor auch für sein meist untrügliches Bauchgefühl bewunderte, so sicher war sie sich doch in diesem Moment, dass er falsch lag.
    Er schüttelte den Kopf, hob die Hand und strich langsam ihren Oberschenkel entlang. »Nein, kein Instinkt. Einfach nur ein Sicherheitscheck; nenn es Hobby, wenn du willst. Würde ich meinem Instinkt folgen, käme ich sofort wieder ins Bett zu dir.«
    Nicole lächelte, trat zur Seite und näherte sich wieder der Tür. »Na, wenn das so ist, weißt du ja, wo du mich findest. Vorausgesetzt, du kannst dich von diesen spannenden Prophezeiungen losreißen. Hobby, ts!« Noch einmal drehte sie sich zu Zamorra um und schenkte ihm einen Blick auf ihren Körper. »Und, Chef?«
    »Hm?«, machte er und lächelte amüsiert.
    »Sag mir Bescheid, wenn du dir eine Modelleisenbahn anschaffen möchtest, ja? Du scheinst mir langsam in das gewisse Alter zu kommen…«
    Ohne auf seine Reaktion zu warten, trat sie auf den Flur und schloss die Tür hinter sich. Noch während sie durch den dunklen Gang zurück ins Schlafzimmer schlich, hörte sie Zamorras Lachen.
    ***
    Lyon
    Wieder und wieder drosch der farbige Boxer auf seinen Gegner ein, und Jean jubilierte bei jedem neuen Treffer. Das Gesicht des Dreizehnjährigen war ein Bild der Konzentration, und Luc hätte sich nicht gewundert, wenn plötzlich Schweißperlen auf Jeans Stirn erschienen wären. So fest, wie der Junge die
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