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0911 - Nachtgestalten

0911 - Nachtgestalten

Titel: 0911 - Nachtgestalten
Autoren: Simon Borner
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vergehen wollte, unwiederbringlich wie die Zeit. Und diese Suche - diese Sorge darüber, das so dringend benötigte Gefäß nicht rechtzeitig zu finden - hatte er nun schon dreiundzwanzig Mal durchgestanden.
    Asmodis klingelten die Ohren bei der Vorstellung allein.
    »Drei Mal war es wirklich knapp und die Todesangst hat mich in der Tat fast aufgefressen«, sagte der Höllenkaiser gerade, und die Worte drangen wie durch Watte an Asmodis' Ohr. »Und nun, da das Äon der Fische bald endet, steht die nächste Erneuerung in JABOTH an. Er wird demnächst geboren werden. Vielleicht lebt er auch bereits.«
    Asmodis wusste, was jetzt kam, ahnte die nächsten Sätze schon, bevor LUZIFER sie aussprechen konnte. Und er wusste, dass er sich ihnen nicht würde entziehen können: LUZIFER wollte, dass Asmodis hinaus in die Welt der Menschen zog und nach JABOTH suchte. Nach einem Wesen, dessen momentane Existenz noch nicht einmal bewiesen war. Nadeln in Heuhaufen ließen sich leichter aufspüren.
    Zeichen magischer Begabung waren das einzige Charakteristikum, das JABOTH mit Sicherheit zuzuschreiben war. Es musste ein Mensch sein, der magisch veranlagt war.
    »Was sind das für Zeichen, mein KAISER?«, fragte Asmodis und fühlte sich auf absurde Weise gleichermaßen überfordert und motiviert.
    »Niemand kennt sie, denn es sind immer andere«, antwortete LUZIFER geduldig. »Man muss nur fähig sein, sie zu lesen. Suche die Nähe und das Zutrauen der magisch begabten Menschen, denn ich weiß, dass JABOTH dieses Mal einer von ihnen sein wird.«
    Und Asmodis gehorchte. Wie er beabsichtigt hatte, begann er seine Suche im Umfeld des Menschen Zamorra, der im regelmäßigen Kontakt zu einigen der magisch gesehen interessantesten Vertretern seiner Spezies stand. Und er machte seine Hausaufgaben, recherchierte das soziale Umfeld des Professors ebenso wie seine geographische Umgebung. Zamorra lebte im Château Montagne, das wusste er allzu gut. Und in der Nähe dieses Ortes, genau genommen in Lyon, fand Asmodis schon bald einen jungen Burschen, der seine Aufmerksamkeit fesselte.
    Konnte es sein? Konnte JABOTH wirklich so nah sein? Asmodis war davon ausgegangen, ihn in Zamorras Dunstkreis aufzuspüren, aber dass es so einfach wäre, hätte er nicht einmal zu hoffen gewagt.
    ***
    Lyon, Gegenwart
    »… und, wie gesagt, wenn wir irgendetwas tun können, lassen Sie es uns wissen.«
    Chefinspektor Pierre Robin beendete das Gespräch, legte den Telefonhörer weg und wünschte sich einen Revolver. Oder eine Schrotflinte, eine MP - irgendetwas, dessen Lauf er sich in den Mund stecken und dann einfach abdrücken konnte. So lange er diesen Job jetzt auch schon machte, würde er sich doch nie an die grausame Pflicht gewöhnen, Hinterbliebene über den gewaltsamen Tod eines Angehörigen zu informieren.
    »Putain de bordel de merde!« , zischte Robin zwischen zusammengebissenen Zähnen, fuhr sich mit der Rechten durch das Haar und lockerte mit der anderen Hand den Knoten der Krawatte, die zu tragen Diana ihn seit neuestem motivierte. Er hasste das Ding, mindestens ebenso sehr wie diese Telefonate.
    Diese trostlosen, elenden Gespräche voller unveränderbarer Tatsachen und ineffektiven Beileidsfloskeln…
    »Was war das eben?« Joel Wisslaires Kopf erschien in der offenen Bürotür. Der Polizeibeamte sah amüsiert aus. »Habe ich da etwa einen schlimmen Fluch gehört; Monsieur l'inspecteur? Noch dazu aus Ihrem Mund?«
    Robin schnaufte. »Fangen Sie nicht auch noch an, Jo. Schlimm genug, dass man mich auf einmal zwingen will, Kleiderordnungen zu beachten. Soll ich jetzt auch noch meinen Sprachschatz weichspülen?«
    Wisslaire hob die Hände als Friedensangebot. »Nur ein Scherz, Robin. Und kein besonders guter. Ihrer Laune nach zu urteilen, haben Sie mit den Familien telefoniert?«
    Der Chefinspektor erhob sich von seinem Schreibtischstuhl und schritt zu der großen Pinnwand im hinteren Bereich des Raumes, an der die Fotos und der vorläufige Obduktionsbericht der beiden Leichen hingen. Grausame, ekelhafte Bilder.
    »Thomas Brewster und Adam Mitchell«, sagte er leise, während sein Blick abermals über die Wunden glitt, die… irgendwas den beiden Touristen zugefügt hatte. »Beide noch keine neunzehn Jahre alt. Interrailer aus Amerika. Hatten in einer Bar ordentlich getankt, als sie zuletzt gesehen wurden. Der Wirt sagt, sie seien gegen ein Uhr nachts aufgebrochen, mehr schwankend als gehend. Und wo immer sie danach hingingen, begegnete ihnen das
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