Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0911 - Nachtgestalten

0911 - Nachtgestalten

Titel: 0911 - Nachtgestalten
Autoren: Simon Borner
Vom Netzwerk:
gewinnen.
    »He, was fällt Ihnen denn ein?«, rief er - es klang erschrockener als sich Luc gewünscht hatte - und drehte sich um. Dann spürte er eine Hand an seiner Kehle!
    Der Griff des Mannes war fest und hart, wie eine Fleisch gewordene Schraubzwinge legte sich die Hand um seinen Hals, drückte zu. Luc spürte, wie sie ihm die Luft abschnitt. Wild mit den Armen rudernd, versuchte er seinen Gegner zu schlagen, doch der lächelte einfach weiter - und hob den Arm. Stück für Stück verlor Luc den Boden unter den Füßen. Mit dem Rücken gegen die kalten Kacheln gepresst, wurde er Zentimeter für Zentimeter in die Höhe gezerrt. Nicht mehr lange, und er sah Punkte vor den Augen.
    »Hast du mal darüber nachgedacht, wie du ihr imponieren könntest?«, fragte Schnurrbart, und es klang völlig ruhig, wie beiläufiger Small Talk.
    Luc japste und krächzte, bekam aber keinen Ton heraus. Er schloss die Augen…
    ... und als er sie wieder öffnete, war der Spuk vorbei. Plötzlich stand er wieder am Waschbecken, den Rücken zur Eingangstür, und sah den Mann im Spiegel hinter sich stehen. An der Tür, die Hände brav in den Hosentaschen verborgen. Luc spürte keinen Schmerz im Hals, keine Anzeichen von Atemnot. Es war, als hätte es die letzten Sekunden nur in seiner Fantasie gegeben!
    »Und? Hast du?«
    »W… was?«, fragte Luc verwirrt. Wann war er sich zum letzten Mal so sehr seines eigenen Herzschlags bewusst gewesen?
    »Na, darüber nachgedacht«, sagte der Mann im Plauderton. »Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass ein neues Kleid ihr sehr gefallen würde.«
    Mit zitternden Fingern drehte Luc den Wasserhahn zu. Dann wandte er sich um und ging mit schnellen Schritten zum Ausgang. »Ich hab keine Ahnung, wovon Sie reden, d'accord !«
    Schnurrbart schmunzelte und trat wie selbstverständlich zur Seite, um Luc durchzulassen. »Das ändert sich noch«, rief er ihm hinterher, als Luc die Toilette verließ. »Und wenn es soweit ist, weißt du ja jetzt, wo du mich findest.«
    ***
    Als er zurück zu seinem Tisch, der Zeitung und dem Café au lait kam, strich sich Asmodis gedankenverloren über den Schnurrbart, den er der menschlichen Hülle gegeben hatte, hinter der er sein wahres Aussehen momentan vor den Menschen verbarg. Er hatte Erfahrung darin, als einer der ihren aufzutreten, und auch bei diesem Besuch in ihrer Welt gelang es ihm fehlerfrei.
    Der Erzdämon setzte sich und blickte über die dicht befahrene Straße hinüber zum Place Bellecourt, wo sich der Junge gerade wieder seinen Möchtegern-Freunden anschloss. Er wirkte lässig dabei, als hätte es die für ihn unerklärliche Begegnung von eben gar nicht gegeben.
    Gut, das war vielleicht nicht gerade meine beste Idee , dachte Asmodis und schmunzelte. Er hatte Luc nichts tun wollen, im Gegenteil. Doch anstatt seinem coolen Auftreten entsprechend mit Wut auf die grobe Behandlung zu reagieren, war der Kleine auf der Toilette ängstlich geworden. Und irgendwann hatte Asmodis nachgeben müssen, sonst hätte er ihn verloren. Ein erstickter JABOTH war schließlich niemandem mehr von Nutzen.
    Und JABOTH bist du, mein kleiner Halbstarker, du weißt es nur noch nicht. Asmodis beugte sich vor und nahm einen tiefen Schluck aus seiner Tasse. Zumindest geben mir die Sterne - und auch dein Verhalten - genügend Anhaltspunkte dafür, dass du es sein könntest . Der Rest wird sich dann schon finden. Denk einfach mal darüber nach, was ich dir gesagt habe; dann findet sich das schon.
    ***
    Damals
    Dreiundzwanzig Mal.
    Die Bedeutung dieser Worte war zu groß, als dass Asmodis sie gleich hätte fassen können. Dreiundzwanzig Mal hatte sein KAISER sich bereits erneuert, seine Existenz in einem neuen Körper fortgeführt. In JABOTH. Nur durch die konstante Regeneration konnte LUZIFER überhaupt noch unter den Lebenden weilen. Sie war seine Rettung - und gleichzeitig sein Fluch.
    Denn wo war JABOTH? Wie fand er ihn, wenn er ihn brauchte? All dies wusste LUZIFER nicht. Er wusste nur, dass JABOTH unter den Menschen weilte, ein ganz normales Leben führte, und doch mehr war als einer von ihnen. JABOTH hatte Potenzial, das einem Menschen fremd war; er zeigte schon in Kindertagen Talente, die das menschliche Weltbild ins Wanken bringen konnten. Und er musste gefunden werden.
    Niemand wusste, ob JABOTH schon lebte. Wo er lebte. Was er tat.
    Niemand wusste, wann und wo JABOTH zu finden war.
    LUZIFER wusste nur, dass er ihn finden musste, wenn er nicht mit seiner momentanen Existenz
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher