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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars
Autoren: Simon Borner
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»Glauben Sie, mir wären ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten nicht bekannt gewesen, als ich sie beide auswählte? Nein, Professor. Es gibt nichts, das Sie der Macht von Buluk Chaptan noch entgegensetzen könnten.«
    Wenn ich die Hände freihätte und an mein Amulett käme, schon! dachte Zamorra und schimpfte sich zum wiederholten Mal in dieser Nacht dafür, seinen Dhyarra-Kristall nicht mitgenommen zu haben. Ab sofort verlasse ich ohne ihn nicht einmal mehr das Haus , schwor er sich - ebenfalls nicht zum ersten Mal.
    Doch es blieb ihm keine Zeit, sich weiter über seine Nachlässigkeit zu ärgern. Plötzlich erfüllte gelbliche Helligkeit den Raum. Die schweren Wände schienen zu glühen; sie reflektierten eine Lichtquelle, die gar nicht vorhanden war. Offenbar lag sie außerhalb der Wirklichkeit. Morgana hob die Arme und stimmte einen Gesang an, den Zamorra nicht verstand. Die Melodie und die Sprache klangen fremd und Zamorra ahnte mehr, däss es sich um ein altes Maya-Lied handelte als dass er es wusste. Mit einem Mal waren er, Nicole, die Alte und die beiden Hünen an Zamorràs Seite nicht mehr die Einzigen hier unten. Von einem Augenblick auf den anderen war der ganze Thronsaal voll mit unheimlichen, abstoßenden Gestalten. Zamorra kannte diese Wesen, wenn auch nur aus Erzählungen - es waren die Geistwesen, von denen McArdbeg in seinem Tagebuch berichtet hatte, in rituellem Ornat alter Maya-Kulte gekleidet. Sie flackerten im Licht, wie es die Jaguarkralle getan hatte, und sie verwesten und zerfielen vor seinen Augen!
    Zamorra sah Hautfetzen, die von knochigen Körpern herabhingen. Er blickte in Münder, die wie schwarze Löcher waren, und in Augenhöhlen, in denen der Wahnsinn regierte. Und er verstand.
    Morgana fürchtete die Macht des Amuletts nicht, weil sie genügend »Kanonenfutter« hatte, das sie ihm entgegenstellen konnte.
    Mit dem Auftauchen der Geister kam wieder Bewegung in die Schutzaura des Amuletts. Abermals lösten sich helle Blitze aus ihr, griffen nach den Erscheinungen und wanden sich um sie. Stück für Stück verschwanden die diffus leuchtenden Mumien aus einer anderen Wirklichkeit in dem gleißend hellen Licht des Amulettzaubers, ohne nennenswerte Gegenwehr. Als hätte das Ende ihrer zeitlosen Existenz keinerlei Bedeutung mehr. Was hätten sie auch ausrichten können? Es waren viele, doch wusste Zamorra genau, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die letzte dieser Kreaturen vernichtet wurde. Und die Aura schoss aus allen Rohren, sonderte Lichtstrahl auf Lichtstrahl ab.
    Wie ein Fels stand Morgana Fatima inmitten dieses Gewitters, beachtete es gar nicht. Ihre Arme waren erhoben, ihre Augen geschlossen, und ihr Mund sprach Worte, die seit Jahrhunderten kein Lebender mehr vernommen hatte. Während sie sprach, entstand etwas um sie herum, ein grün leuchtendes, durchsichtiges Gebilde, auf dem die Helligkeit der Blitze wie auf einer Seifenblase reflektierte. Ein Schirm! Eine Versicherung gegen die Strahlen des Amuletts!
    Zamorra wusste, dass dieser Zauber kein Hindernis für die Macht des magischen Anhängers darstellte, doch schien Morgana es auch gar nicht darauf abgesehen zu haben. Es war, als brauche sie nur wenige Augenblicke, um ihren Plan zu vollenden - um Nicole zu opfern, durchzuckte es ihn und die Blase sowie die Geistwesen würden ihr diese Augenblicke verschaffen.
    Morgana lächelte. Lächelte selbst im Zentrum des magischen Gewitters mit einer Selbstverständnis, mit einem Siegesausdruck auf den Zügen, als habe sie all dies von Anfang an geplant - und während Zamorra sich im Griff der beiden Kleiderschränke wand und hilflos zusehen musste, zweifelte er nicht, dass es genau so war. Es war kein Zufall gewesen, dass er und Nicole auf Morganas Voodoo-Tempel gestoßen waren. Es war auch kein Zufall, der sie mancher Logik zum Trotz nach Puerto Cortés verschlagen hatte. Sondern Instinkt.
    Und ein Jahrtausende alter, teuflischer Zauber, der nun vielleicht ihr Ende bedeutete! Zamorras Blick suchte und fand Nicole, die ihn aus schreckgeweiteten Augen ansah. Nicole, die kurz davor stand, einer alten Gottheit geopfert zu werden. Sie mussten einen Ausweg finden. Jetzt! Sie mussten… Ohne, dass er es genau hätte benennen können, lag da plötzlich noch etwas anderes in Nicoles Augen. Etwas Fragendes, Zweifelndes. Unglaube.
    Zamorra verstand spät. Seine Gefährtin schaute ihn nicht länger an - sondern hinter ihn!
    ***
    Ein Lufthauch. Ein weißes Wirbeln in einer Szenerie, in der es
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