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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars
Autoren: Simon Borner
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Zamorra mit den Ohren wahr. Sie schnappte nach Luft, dann kippte sie zur Seite und blieb am Boden liegen. Morgana beachtete sie gar nicht.
    Der Franzose wollte aufstehen, zu ihr eilen, doch das Kind war über ihm, versperrte ihm Weg und Sicht mit seinem Blätterkranz, und lächelte noch immer. Lächelte, während es aus den Blättern eine kleine Spritze zog und sie Zamorra in einer unglaublich geschmeidigen, katzenhaft schnellen Bewegung in den Hals rammte, ihn total überrumpelte.
    Dann ging alles ganz schnell. Binnen eines Augenblicks hatte er jegliche Kontrolle über seinen Körper verloren. Er hörte ein Keuchen, einen erschrockenen, zornigen Laut, und konnte allein vermuten, ihn selbst erzeugt zu haben, denn er hatte kein Gefühl mehr im Leib, nahm sich selbst kaum noch wahr. Dann war da nur noch das Rauschen seines Blutes in seinen Ohren, das schnelle, panische Pumpen seines Herzens. Er sah nichts mehr, nur noch das Flackern des Feuers - eines Feuers, das näher zu kommen, das ihn einzuhüllen und mit einem Mal zu verzehren schien. Wo war Nicole? Wo Morgana? Was wurde hier gespielt?
    Auf einmal sah er Sterne und merkte, dass er auf dem Rücken lag. Über ihm erschienen Gesichter, Hände - Zamorra erkannte sie, und dennoch waren sie ihm fremd, war ihm alles fremd geworden. Wo war er? Was geschah mit ihm? Er wollte reden, um sich schlagen, schreien, und konnte doch nur glotzen, während die Taubheit und die Nacht immer mehr Besitz von ihm ergriffen. Erst von seinem Körper, dann von seinem Geist.
    Nicole , dachte er, als sich seine Augen zum ersten Mal schlossen. Er kämpfte, bäumte sich auf und öffnete sie erneut. Aber er nahm nur noch Bruchstücke der Welt um sich wahr. Und selbst diese kontextlosen Momentaufnahmen schien er der Dunkelheit mühsam abringen zu müssen: Hier ein Sternenhimmel, dort ein tanzender Fuß auf staubigem Erdboden. Ein flatterndes Huhn, getragen von einem grinsenden, zahnlosen Mann in weißer Robe.
    Nicole! rief Zamorra in Gedanken, mit aller Kraft. Dann wurde es dunkel.
    ***
    Irgendjemand schrie. Dieser Gedanke bahnte sich klar und deutlich seinen Weg zu… ihr - wie hieß sie noch?… bahnte sich seinen Weg durch die Lähmung, die Taubheit und durch die Finsternis, die ihren Geist und Körper umgaben wie Watte. Schrill, laut und klagend drang der Ton durch das Dunkel an ihr Ohr. Sie begann schon, Mitleid mit dieser armen Seele zu empfinden, die ihn ausgestoßen hatte, da starb der Klang abrupt ab. Oder hatte es ihn etwa gar nicht gegeben? Hatte sie sich das Geräusch nur eingebildet? Sie wusste es nicht. Erschreckend mühsam versuchte sie, die Augen zu öffnen, scheiterte aber kläglich.
    Langsam bewegte sie den Kopf und bemühte sich, mit der Zunge über ihre trockenen Lippen zu fahren, da kam der Schmerz wieder. Plötzlich und ohne Vorwarnung durchfuhr er sie, war überall und nirgendwo zugleich, bohrte sich mit schier gleißender Intensität durch jede einzelne Faser ihres geschundenen Körpers, jede Faser ihres Seins, ihrer jämmerlichen Existenz. Wie Milliarden brennender Ameisen zogen die Schmerzschübe über sie hinweg, durch sie hindurch, kamen von allen Seiten zur gleichen Zeit und gingen ebenfalls gleichzeitig in alle Richtungen weiter. Sie glaubte, sich zu schütteln, zu zittern und den Kopf wild hin und her zu werfen, doch konnte sie auch das nicht mit Sicherheit sagen, da dieser unmenschliche Schmerz jedwede andere Wahrnehmung, jedwedes andere Wissen überlagerte, ja völlig auszulöschen schien. Sie war nicht mehr sie selbst in diesem schier endlosen Moment der Pein, sie war Schmerz. Alles war Schmerz. Und auf einmal, von irgendwo jenseits der Schwärze aus Feuer und Kälte, aus Erschöpfung und Anstrengung, die sie umgab, war der Schrei wieder da. Diesmal erkannte sie die Stimme sogar, kurz bevor ihr kleiner Restverstand wieder im Dunkel verschwand.
    Es war ihre eigene.
    ***
    Als Nicole Duval das nächste Mal aufwachte, war der Schmerz fort - und hatte die Welt mitgenommen. Zumindest schien es zunächst so, denn als sie die Augen öffnete, blieb die Dunkelheit bestehen, die hinter ihren Lidern geherrscht hatte. Sinneswahrnehmung gehörte momentan offenbar nicht gerade zu ihren Stärken. Erst nach und nach meldeten sich verschiedene Teile ihres Körpers wieder; langsam begann sie ihre Arme zu spüren, dann auch die Beine, und alle ihre Glieder schienen zu brennen und vermittelten gleichzeitig eine unangenehme Taubheit, was die zu ihr durchdringenden und schon für sich
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