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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars
Autoren: Simon Borner
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geworden durch
    53 die vielen Ohrfeigen, Faustschläge und Kinnhaken, mit denen ihn die beiden Kleiderschränke geweckt hatten, die nun rechts und links von ihm standen und den Wissenschaftler stützten. Nein, ›festhielten‹ war das richtige Wort. Sie trugen goldenen Schmuck, der alt aussah, alt und bedeutsam. Wie die Mayas auf den Fresken der Gebäude von Copán wirkten sie mit ihrem Ornat aus Gold und Jadeperlen, ihren Behängen, applizierten Papageienfedern und rituellen Dolchen, und das Licht ihrer Fackeln spiegelte sich auf ihren blanken Oberkörpern. Aus geschwollenen und verklebten Augen blickte der Professor Morgana Fatima an, die ihm gerade eine schier unglaubliche Geschichte aufgetischt hatte: Sie hatte ihm entlockt, warum er nach Puerto Cortés gekommen war - und dann behauptet, vom Schicksal des alten Schotten zu wissen!
    »›Vertraut mit seiner Geschichte‹ ist vielleicht ein wenig vorsichtig formuliert, Professor«, antwortete die Voodoo-Priesterin und lächelte ihn finster an. »Ich kannte Connor persönlich. Ein ehrenwerter, aufrechter Mann, mit Prinzipien und einem bemerkenswert stark ausgeprägten Forscherdrang. Was ist eigentlich letztendlich aus ihm geworden?«
    »Sie kannten…« Abermals fühlte der Franzose eine Ohnmacht nahen. Seine Beine knickten ein, und wären die beiden Hünen zu seinen Seiten nicht gewesen, er wäre wohl geradewegs auf den kalten Steinboden aufgeschlagen. Mit auf den Rücken gefesselten Händen konnte man sich leider nur sehr schlecht abstützen. Zamorra versuchte, tief und ruhig zu atmen; langsam bekam er zumindest wieder die Kontrolle über seinen Geist.
    »Sie kannten ihn also?«, setzte er erneut an. »Wie darf ich denn das verstehen?« Die Frage war kaum ausgesprochen, da wusste er auch schon die Antwort. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen, und für einen langen, unendlich langen Augenblick verfluchte er sich innerlich selbst für seine Blindheit. Es war alles da gewesen, alle Informationen. Sein Bauchgef uhl, seine Ausdauer hatte ihn genau zur richtigen Stelle geführt - und er hatte sich von Mummenschanz blenden lassen und das Offensichtliche übersehen. Er hatte nicht erwartet, so schnell ans Ziel zu gelangen, das war es! Es war zu einfach gewesen, und deshalb hatte er es ignoriert.
    Ein tödlicher Fehler!
    »Mein lieber Professor«, sagte Morgana und strich ihm sanft über das geschwollene Gesicht. Es schmerzte höllisch. »Erinnern Sie sich noch an den Abend, als sie mich nach den Wiedergängern des Voodoo fragten?«
    Zamorra verstand. »Madame Golden Rose.«
    Die Mestizin deutete eine Verbeugung an, dann wandte sie sich der mit Hieroglyphen übersäten Wand zu. Sie standen auf dem Dach der Pyramide von Copán Ruinas, direkt vor dem Sonnentempel, in dem Javier Montejo vor einigen Tagen verschwunden war, wie Fritz Haberland über 170 Jahre vor ihm. Copán, schoss es Zamorra durch den Kopf. Blut und Fledermaus. Vampir!
    Der dunkle Nachthimmel erstreckte sich über ihnen, und im Inneren des Tempels, wo am Tag die Touristen und Fremdenführer flanierten, führte nun eine Treppe tief ins Herz der Pyramide. Eine Treppe, die scheinbar aus dem Nichts entstanden war. Heute würde Zamorra verschwinden, zumindest wenn es nach dem Willen seiner Entführer ging. Wo Nicole abgeblieben war, vermochte er nicht einmal zu erahnen. Die Sorge um seine Gefährtin raubte ihm fast den Verstand. Er brauchte Zeit, Zeit zum Nachdenken. Er musste Señora Fatima ablenken.
    »Und ich dachte, Wiedergänger verwandelten sich in stupide Zombies«, sagte er und ließ seine Stimme absichtlich ein wenig spöttisch klingen. »Wie ein wandelnder Leichnam wirken Sie nun nicht gerade.«
    »Nicht, wenn sie noch ein paar Tricks aus der Alten Zeit kennen«, sagte Morgana alias Golden Rose ohne sich umzudrehen. »Nicht, wenn sie die Nutzen des Voodoo mit den, sagen wir: nützlichsten Aspekten des Maya-Kultes zu kombinieren verstehen.«
    »Sie leben von der Zeit anderer!« Ein Schuss ins Blaue, aber was hatte er zu verlieren? »Deshalb Haberlands Opferung. Sie… Sie schlachten Menschen, opfern sie Buluk Chaptan und nehmen deren Lebensenergie in sich auf. So überlebten Sie die Jahrhunderte.«
    Damit hatte er Morganas Aufmerksamkeit wieder. »Nah dran, Franzose«, zischte sie. »Aber das nützt dir jetzt auch nichts mehr.«
    »Und Montejo sollte ihr neuer Menschenfänger werden«, führte er seinen Gedanken zu Ende. »Ein Forscher, den der Zufall nach Honduras und an ihre Tür verschlagen hatte.
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