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0885 - Die Kralle des Jaguars

0885 - Die Kralle des Jaguars

Titel: 0885 - Die Kralle des Jaguars
Autoren: Simon Borner
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wissenschaftliche Hilfskraft bei Dr. Montejo angestellt bin. Sagen wir es so: Das liegt nicht allein an meinen guten Referenzen und universitären Leistungen.«
    Zamorra stutzte. »Sie sind Maya-Priester?! Aber ich dachte, dieser Kult wird seit Jahrhunderten nicht mehr praktiziert.«
    Elian setzte seinen Federschmuck auf dem Fußboden ab, sah zu seinem Gegenüber auf und lächelte verschwörerisch. »Ich wette, Sie dachten bis heute Abend auch, dass Madame Golden Rose seit langem tot sei.«
    Touché! Zamorras Gesichtsausdruck sprach wohl Bände, denn Rodrigo lachte plötzlich laut auf. Es war ein fröhlicher, herzlicher Klang, der so gar nicht in diesen düsteren und von schlechten Ereignissen gezeichneten Raum zu passen schien. Der Franzose konnte sich nicht helfen: Er musste einfach einstimmen.
    »Hey, Chef! Kümmerst du dich vielleicht mal um mich?«
    Dieser Ruf ließ die Männer wieder zur Besinnung kommen: Nicole! Sie hatten die gefesselte Französin für einen Moment völlig vergessen. Im Nu waren sie bei ihr und trennten mit ihren Dolchen vorsichtig die grobfaserigen Stricke, mit denen Nicole Duval an die stabilen Holzpflöcke gebunden war. Sie rieben ihre Gelenke, um die Durchblutung wieder anzukurbeln. Behutsam entfernte Zamorra endgültig die Reste des Knebels aus ihrem Gesicht. Dann strich er der Erschöpften sanft über die Stirn und drückte ihr einen zarten Kuss auf die Wange.
    »Hast wohl schon gedacht, wir hätten dich vergessen«, sagte er entschuldigend, und trotz der schmerzenden Gelenke und tauben Gliedmaßen schlich sich der Hauch eines Lächelns auf ihr Gesicht. »Warum sollte ich?« konterte sie. »Wie ich bereits sagte, Chef: Ich kenne dich besser, als du dich selbst kennst. Mit einem Kollegen plaudern und deine Partnerin befreien - das wäre ja Multitasking. Und damit seid ihr Helden der Schöpfung einfach überfordert.«
    Zamorra grinste spitzbübisch. »Pass auf, was du sagst, sonst binde ich dich gleich wieder fest und lasse dich hier. Als Fotomotiv für die Touristen.« Dann schob er einen Arm unter den Nacken seiner Gefährtin, umklammerte mit dem anderen ihre Hüfte und hob Nicole hoch.
    ***
    Das Tageslicht, das durch die Öffnung in der Mauer hereinfiel, blendete heller als ein Fotoblitz. Minutenlang waren Zamorra und Rodrigo durch dunkle Gänge und über Treppen geirrt. Sie hatten Nicole zwischen sich gehalten, in ihrer Mitte getragen und gestützt. Dann schließlich hatten sie den Ausgang erreicht - und fanden sich unversehens im Sonnentempel wieder, auf der Spitze des eindrucksvollen Pyramidenbauwerks von Copán. Die Sonne fiel hell und klar durch den kleinen Eingang des Tempels, und der alltägliche Touristenbetrieb hatte eingesetzt. Dementsprechend groß war das Hallo, als sich lautlos eine verborgene Tür in der Tempelwand öffnete und die drei Gefährten entließ. Ein Maya-Priester in vollem Ornat, ein zerzaust aussehender Europäer mit blutigen Striemen im Gesicht und einem zerfetzten, durchgeschwitzten Hemd, sowie eine beinahe nackte junge Frau, die angemalt war wie ein Menschenopfer der Maya aus längst vergangenen Tagen - diesen Anblick bekam man in Copán sonst nicht geboten.
    »Look mom, they're shooting a movie!«, schrie ein vielleicht siebenjähriger Junge im Tonfall totaler Begeisterung und zeigte auf die Abenteurer, die sich erst mühsam an den Anblick von Menschen und Tageslicht gewöhnten. So sehen wir also aus? dachte Zamorra. Wie Leute, die einen Film drehen? Na ja, er konnte es dem Kleinen kaum verdenken. Und überhaupt, sollten sie das ruhig glauben. Immer noch besser, als wenn man ihnen dumme Fragen stellte.
    Als wäre der kleine Junge nicht genug, brach plötzlich ein Blitzlichtgewitter über die kleine Gruppe herein. Mit einem Mal waren die drei Gefährten die Sensation des Tages und Zentrum der Aufmerksamkeit. Zamorra hörte Nicole stöhnen und entsann sich ihrer Kleidungssituation, zog sein Hemd aus und hängte es ihr über die Schultern. Mühsam bahnten er und Elian ihnen einen Weg durch die sich stetig vergrößernde Menge von Schaulustigen.
    Als sie aus dem Tempel auf die große Freitreppe traten, war ihnen die Kunde von ihrer Anwesenheit bereits vorausgeeilt. »Heather, come quick«, schrie eine etwa siebzehnjährige Amerikanerin mit Zahnspange und schlecht blondierten Haaren ihrer Freundin zu, die es noch nicht ganz bis auf die Spitze der Pyramide geschafft hatte. Die Blonde hyperventilierte fast vor Begeisterung: »It's Pierce Brosnan! And he took his
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