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0867 - Die Pesthexe von Wien

0867 - Die Pesthexe von Wien

Titel: 0867 - Die Pesthexe von Wien
Autoren: Christian Schwarz
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den schmiedeeisernen, kniehohen Absperrzaun, um zu sehen, ob die Brüder auch unter den Särgen sauber gemacht hatten. Da zeigten sie sich hin und wieder ein wenig schlampig. Heute durfte er jedoch mehr als zufrieden sein. Der Steinboden blitzte nur so im Deckenlicht. In der Maria-Theresien-Gruft, die ob ihrer verschwenderischen Pracht eher wie ein barockes Mausoleum wirkte, verweilte Bruder Laurentius ein wenig länger. Hier pflegte er seinen ganz privaten Studien zu frönen. Selbst nach dreißig Jahren entdeckte er noch immer neue, aufregende Details im Sargschmuck des monumentalen Doppelsarkophags, in dem Kaiserin Maria Theresia und ihr Gatte Franz Stephan ruhten.
    Ein Geräusch riss ihn aus seiner beschaulichen Ruhe. Bruder Laurentius fuhr zusammen. Sein Herz klopfte plötzlich bis zum Hals. Was war das eben gewesen?
    Krrrzzzz… Das Geräusch wiederholte sich. Es klang, als ob Metall auf Metall schabte.
    Der Abt schüttelte unwillig den Kopf. Er war kein ängstlicher Mann. Das Herzklopfen rührte eher vom gerade erlittenen Schreck her. So machte er sich auf, um nachzusehen, wer oder was dieses Geräusch verursachte.
    Krrrzzzz…
    Bruder Laurentius spürte, wie sich seine Nackenhärchen aufrichteten. Das Geräusch kam von nebenan aus der Karlsgruft! Als er eintrat, prallte er zurück. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er die wunderschöne Frau mit dem wallenden Blondhaar an, die sich gerade an Sarkophag Nummer 37 zu schaffen machte. An sich war das schon unerhört. Dass die Alarmanlage nicht funktionierte, obwohl der Sarkophag offen stand, noch weitaus unerhörter. Den Gipfel der Impertinenz sah Bruder Laurentius allerdings in der Tatsache, dass die Frau nicht ein einziges Kleidungsstück am Leib trug!
    »Was… was tun Sie da?«, röchelte der Abt.
    Die Frau fuhr herum. Sie starrte ihn an. Ein höhnisches Lächeln glitt über ihr ebenmäßig geschnittenes Gesicht. »Guten Abend, Paterchen«, sagte sie mit einer Stimme, in der alle Verheißungen dieser Welt mitschwangen. Verheißungen der Art allerdings, die dem Abt auf ewig verschlossen bleiben mussten. »Na, so spät noch unterwegs? Wollen wir beide was machen?«
    Bruder Laurentius fielen fast die Augen aus dem Kopf, als sie sich in obszönen Hüftschwüngen übte.
    »Lassen Sie das bittschön sein«, würgte er hervor. »Und… und sagen Sie mir, was Sie hier tun. Ich…«
    Ein flatterndes Geräusch ertönte. Drei Raben flogen an. Einer ließ sich auf der Schulter der Nackten nieder, ein anderer hüpfte auf dem Deckel von Sarg Nummer 37 hin und her, während sich der dritte auf einer Art goldenem Schrein mit eingebauten Sichtscheiben niederließ, der mit offenem Deckel zu Füßen der Nackten lag. Gemeinsam war den drei Vögeln, dass sie den Abt dabei feindselig musterten.
    Eine furchtbare Ahnung beschlich Bruder Laurentius. Mit zitternden Fingern griff er nach seinem Brustkreuz. Er reckte es dem seltsamen Quartett entgegen. »Vade retro, Satanas!«, schrie er.
    Die Frau zischte. Ihr schönes Gesicht verwandelte sich in eine abstoßende, dämonische Fratze. Blitzschnell griff sie in den offenen Sarg. Gleichzeitig flogen die Raben hoch. Sie verteilten sich, als besäßen sie strategisches Geschick. Der mittlere Rabe griff den Kapuziner frontal an, während die beiden anderen von links und rechts kamen. Das schrille Kreischen, das sie dabei ausstießen, ließ Bruder Laurentius das Blut in den Adern gefrieren. Trotzdem stellte er sich. Er wartete ab, bis der mittlere Vogel in Reichweite war. Dann schlug er blitzschnell mit dem Kreuz nach ihm. Er berührte das Tier an der Brust. Das Kreischen wurde zum ohrenbetäubenden Stakkato, ein Blitz zuckte quer durch den Raum. Das Tier taumelte plötzlich und trudelte zu Boden. Dort blieb es benommen sitzen und drehte den Kopf, als wisse es nicht, was vorgefallen sei. Die anderen Raben drehten sofort ab.
    Ein lautes Lachen ertönte. Bruder Laurentius atmete tief durch. Die nackte Frau trug nun ein seltsames Gefäß in der rechten Hand. Es sah aus wie ein tiefschwarzer Kelch, etwa dreißig Zentimeter hoch, der von vier nach oben gebogenen Hörnern geziert wurde. Sie entsprangen knapp über dem Stiel und strebten über der Öffnung aufeinander zu, ohne sich allerdings zu berühren.
    Wie unabsichtlich kippte die Frau den Kelch. Der Abt konnte nun in ihn hineinblicken. Er sah seltsam wabernde Schlieren, die über die Oberfläche zu tanzen schienen, sich kunstvoll verwoben und ständig neue Muster bildeten. Muster, die eine
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