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0867 - Die Pesthexe von Wien

0867 - Die Pesthexe von Wien

Titel: 0867 - Die Pesthexe von Wien
Autoren: Christian Schwarz
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wässrigen, ständig tränenden Augen. Bin ich denn zum Monster geworden?, fragte er sich, während sich seine Gedanken bereits verwirrten und ineinander verdrehten, zerfaserten und auf Wanderschaft gingen. Hina… bin so müde…, will nur noch schlafen… Hina…
    Trotzdem bekam er noch mit, dass irgendwann Männer in hellen Dekontaminationsanzügen mit Schutzhaube und Handschuhen ins Zimmer traten und ihn auf eine Liege hoben.
    Hina…
    ***
    Gleich nach dem Morgengebet stieg Bruder Laurentius in seinen Mercedes. Er steuerte ihn nach Irdning ins dortige Kapuzinerkloster, um ein Seminar zum vom aktuellen Heiligen Vater angestoßenen Thema »Ihr werdet wirksam sein, wenn ihr euch in die Schule Mariens begebt« zu halten. Erst spätabends kehrte er nach Wien zurück. Dort begab er sich auf direktem Weg zum Hotel Wandl, das nur einen Katzensprung vom Neuen Markt entfernt am Petersplatz lag. Der Kapuzinerabt, der mit seinem langen, grauen Rauschebart ein wenig wie Rasputin wirkte, trat an die Rezeption und fragte nach Bruder Claudius und Herrn Zamorra. Eine Viertelstunde später saß er mit beiden sowie einer jungen, ausnehmend hübschen Dame namens Nicole Duval in der fürstlich ausgestatteten weinroten Suite der Franzosen und nippte an einem leckeren österreichischen Rotwein, einem Zweigelt. Die Frau konnte es, was Schönheit anbetraf, locker mit der Nackten am Sarkophag Leopolds aufnehmen. Intensivere Gedanken in diese Richtung gestattete er sich allerdings nicht. Er bekämpfte sie mit dem Zitat von Papst Pius IL, der einst zu seinen Lebzeiten im 15. Jahrhundert kundgetan hatte: »Wenn du eine Frau siehst, denke, es sei der Teufel. Sie ist eine Art Hölle.« Am tiefen Wahrheitsgehalt dieser weisen Worte hatte sich bis heute nichts geändert, davon war der Abt fest überzeugt.
    Die beiden Mönche begrüßten sich besonders herzlich, da sie sich bereits kannten. Der Zisterziensermönch Claudius hatte auf der Suche nach der Ursache der dämonischen Rabenangriffe den Kapuzinerabt um Hilfe gebeten und war von diesem auf die Spur der mittelalterlichen Hexe Theresia Maria von Waldstein gebracht worden, die in alten Schriften als »Herrin der Raben« bezeichnet wurde. Claudius hatte Laurentius auch von seiner eigenen Bestimmung erzählt und davon, dass er mit zwei Dämonenjägern in Wien weile, weil der Stadt große Gefahr drohe. Der längst verstorbene Zisterziensermönch Bruder Franziskus habe ihm das in einer eindringlichen Vision übermittelt. [1]
    Nun, da Bruder Laurentius der Gefahr in Form der Hexe höchstpersönlich begegnet war, hatte er sich wieder seines Bruders im Glauben erinnert.
    »Wann war das? Gestern Nacht schon? Und Sie kommen jetzt erst zu uns?« Zamorra blickte den Abt fassungslos an.
    »Natürlich. Was dachten Sie denn, Herr Zamorra? Ich habe Pflichten und einen Tagesablauf, die es einzuhalten gilt. Da muss schon wesentlich mehr passieren als das Auftauchen einer schamlosen Hexe, um mich von meiner Tageseinteilung abzubringen.« Er sagte es so überzeugend, dass den drei anderen die Luft wegblieb.
    »Sie hätten uns wenigstens anrufen können, nachdem es passiert war«, machte ihm Nicole weitere Vorwürfe. »Wir wären umgehend da gewesen.«
    »Nein, ich musste ins Bett. Die Hexe hatte mich ohnehin schon viel zu lange davon abgehalten.« Er faltete salbungsvoll die Hände.
    »Ganz toll, lieber Herr Abt«, ätzte Nicole. »Dank Ihres überaus raschen Handelns wird es jetzt extrem schwierig, noch etwas zu machen.« Sie dachte an die Zeitschau , die Zamorra nur innerhalb von allerhöchstens vierundzwanzig Stunden nach Eintritt des zu erforschenden Ereignisses durchführen konnte. Die waren soeben um.
    »Was wollen Sie, Frau Duval? Der Herr gab uns einen festen Tagesablauf, damit wir ihn einhalten. Das ist ganz einfach.«
    »O heilige Einfalt«, murmelte sie so leise, dass nur Zamorra es hörte.
    Der entschärfte die Situation. »Jetzt ist es ohnehin zu spät. Lassen wir deswegen das Geplänkel. So, die gnädige Frau Hexe hat also den Sarg des Kaisers Leopold geplündert und eine Art Kelch entwendet«, stellte der Professor nach dem Bericht des Abtes fest. »Habe ich das richtig verstanden?«
    »In der Tat.« Bruder Laurentius sah überhaupt nicht beleidigt aus.
    »Hm. Was für ein Kelch mag das wohl sein?«
    »Ich habe keine Ahnung, Herr Zamorra. Es ist nicht bekannt, dass Kaiser Leopold mit einem Kelch beigesetzt wurde. Und doch muss es so gewesen sein.« Der Abt nahm seine Brille ab und putzte sie
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