Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
085 - Von den Morlos gehetzt

085 - Von den Morlos gehetzt

Titel: 085 - Von den Morlos gehetzt
Autoren: Peter T. Lawrence
Vom Netzwerk:
vertrauen.“ Warrens Stimme klang jetzt wieder fest, sein Gehirn arbeitete präzise und klar, wie er es gewöhnt war. Dieser Junge, der da wie ein Häuflein Unglück auf dem Bett kauerte, war krank. Er brauchte Hilfe. Und er, Warren, war nun da und konnte sie ihm vielleicht geben. „Du hast Angst“, sagte er ruhig. „Du fürchtest dich vor irgend etwas. Wir beide müssen versuchen, die Wurzel dieses Angstzustandes zu finden. Du mußt dich aussprechen, George. Danach wirst du dich wohler fühlen. Sprich es dir von der Seele!“
    „Ich sage nichts. Überhaupt nichts“, rief der Junge störrisch.
    „Wo ist Harry?“
    „Harry“, wiederholte er zitternd.
    „Wo er ist, George? Du mußt es mir sagen.“
    Für Momente war George zu einer klaren Aussage fähig.
    „Er war unten, hat den Deckel hochgezerrt“, antwortete er. „Er ist nicht mehr rausgekommen. Ich glaube nicht, daß er rausgekommen ist. Sonst wäre er hier.“
    „Ihr habt das Grab geöffnet?“
    „Das Grab…“ Die Erinnerung kehrte wieder, mit ihr die Angst und das Grauen, das Georges Gesicht zur Fratze verzerrte.
    „Sie waren hier“, flüsterte er kaum hörbar. „Ich habe zwei dieser schrecklichen Visagen am Fenster gesehen. Sie sind mir gefolgt. Sie müssen mir gefolgt sein, Herr.“
    „Polizeibeamte?“
    George ging nicht darauf ein. „Sie haben mich gefunden“, redete er weiter. „Vor dem Fenster habe ich sie gesehen. Schwammige Gesichter. Sie werden wiederkommen. Bestimmt werden sie das. Gehen Sie nur selbst hin, Herr. Dann kommen sie auch zu Ihnen. Bestimmt werden sie das tun.“
    „George!“ schrie ihn Warren an.
    „Von wem redest du?“
    George sah auf. In seinen fiebrigen Augen stand das Grauen. „Helfen Sie mir, Herr. Sie müssen bei mir bleiben. Sonst werden sie wiederkommen, um mich zu holen.“
    Warren nahm erschöpft Platz.
    „Gut“, sagte er. „Ich werde bei dir bleiben.“
    Gemeinsam warteten sie auf die Dunkelheit.
     

     
    „Rob“, sagte Laura. „ich möchte, daß du mir jetzt einmal zehn Minuten lang zuhörst. Ob du mich dann immer noch auslachst, bezweifle ich. Ich weiß ja selbst, daß das alles verrückt klingt, was ich dir erzählen will, aber warum sollen wir uns nicht die Mühe machen, die Geschichte nachzuprüfen. Der Fall liegt ja schließlich kein Jahrtausend zurück.“
    „Also gut“, antwortete ich. „Das ist ein faires Angebot. Ich werde versuchen, unvoreingenommen deinen Argumenten zuzuhören, einverstanden?“
    Laura belohnte mich mit einem charmanten, liebevollen Lächeln und zeigte auf einen schmalen Schnellhefter, den sie mitgebracht hatte.
    „Dies hier sind alles Fotokopien, die ich in der Eile gemacht habe. Sicher sind noch mehr Unterlagen aufzutreiben. Nach dem Interview mit Elena Tichles fuhr ich in die Redaktion zurück und wühlte zwei Tage lang in Stapeln von alten Zeitungen. Das Medium konnte sich zwar an die Vorfälle nicht mehr erinnern, weil sie in Trance war, aber die Teilnehmer erzählten ihr später, das Gesicht des Mannes passe in die Zeit vor 1900. Bart und Haarfrisur ließen darauf schließen, daß jener Dr. Warren um 1890 herum gelebt haben muß. Heute morgen fand ich einen langen Artikel über eine Gerichtsverhandlung, bei der im Jahre 1890 ein Arzt namens Julius Warren wegen Diebstahls von Leichen und Mord angeklagt worden war. Im Grunde war es ein riesiger Glücksfall, aber ich hatte richtig kombiniert: die meisten Toten, die von alleine erscheinen, ohne daß sie namentlich herbeigerufen werden, wollen der Nachwelt irgend etwas mitteilen. Meist eine Ungerechtigkeit, die ihnen widerfuhr, oder ähnliches.“ Laura lächelte mich an. „Ist das noch logisch, Rob?“
    „Es ist logisch bis zu dieser Stelle. Erzähle bitte weiter.“
    Sie trank einen Schluck, dann fuhr sie fort: „Der Arzt war wegen Mordes verhaftet worden. Zehn Jahre lang hatte er sich für medizinisch-naturwissenschaftliche Studien, wie er behauptete, Leichen bei irgendwelchen Leuten bestellt, die er für ihre Dienste honorierte. Die letzte brachten ihm zwei Studenten namens Harry und William im September 1889. Harry – sein weiterer Name ist nicht bekannt – besserte auf diese Art in hübscher Regelmäßigkeit zwei Jahre lang sein Taschengeld auf.“
    „Warum die letzte Leiche?“ fragte ich. „Wollte Warren auf lebendes Menschenmaterial übergehen? Damals versuchte man ja die unmöglichsten Dinge.“
    Laura schüttelte den Kopf.
    „Nein, wollte er nicht. Ende September des gleichen Jahres bestellte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher