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0688 - Das Hohe Volk

0688 - Das Hohe Volk

Titel: 0688 - Das Hohe Volk
Autoren: Claudia Kern
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dich nie gereizt, einmal das Hohe Volk zu sehen?«
    Farod schüttelte heftig den Kopf. »O nein. Man sagt, ihr Anblick lasse einen sofort erblinden und den Verstand verlieren.«
    Cylas setzte den Schraubenzieher ab. »Ich würde sie gerne sehen.«
    »Das würde ich dir nicht raten. Wer soll denn dann die Maschinen so gut reparieren?«
    Die beiden Männer grinsten.
    Cylas kehrte schweigend zurück an seine Arbeit.
    Er war sich nicht sicher, ob es ihn störte, dass durch die Maschine andere starben. Schließlich hatte er sie nicht gebaut, und er benutzte sie auch nicht. Er sorgte nur dafür, dass sie richtig funktionierte.
    In den letzten Stunden hatte er festgestellt, dass sein persönlicher Stolz stärker als das schlechte Gewissen war. Wenn er seine Arbeit gut machte, lobte ihn das Hohe Volk, und er fühlte sich gut. Er genoss die Herausforderung und die Anerkennung gleichermaßen.
    Farod sprang plötzlich auf. »Der rote Knopf leuchtet«, sagte er beinahe panisch. »Wir müssen gehen.«
    Cylas schüttelte den Kopf. »Ich bin noch nicht ganz fertig«, log er. »Geh schon mal vor.«
    Der Aufseher ging zur Tür, blieb dann aber stehen und drehte sich zu dem Mechaniker um. »Du willst sie sehen«, sagte er. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
    Cylas trat von der Maschine weg und betrachtete sein Werk voller Stolz. »Ja, ich will wissen, wer sie sind.«
    »Möge das Hohe Volk dir vergeben«, murmelte Farod und schloss die Tür von außen.
    Cylas drehte sich mit klopfendem Herzen zu der Tür, aus der gleich das Hohe Volk treten würde.
    Er war aufgeregt, wusste nicht genau, ob er aus Neugier, Irrsinn oder missverstandenem Mut handelte. Einen Augenblick lang überlegte er, doch noch Farod zu folgen, aber dann drückte jemand oder etwas von außen gegen die Tür.
    Es gab kein zurück mehr.
    Cylas sah das Hohe Volk.
    ***
    »Ich werde es tun«, hatte der Vampir gesagt und damit den Beginn der Beschwörung eingeläutet.
    Die drei unterschiedlichen Wesen bildeten ein Dreieck und fassten sich an den Händen.
    Zamorra sprach die komplexen Beschwörungsformeln vor, die beiden anderen wiederholten sie nacheinander.
    Der Dämonenjäger hatte Kooranovian verdeutlicht, welche drastischen Konsequenzen die falsche Aussprache einer einzigen Silbe haben konnte. Der Tiger, der nach Fu Longs Drohung ohnehin sehr still geworden war, hatte diesen Hinweis offenbar verinnerlicht, denn seine Aussprache war lupenrein und konzentriert.
    Zamorra spürte, wie die Kräfte zu wirken begannen. Neben ihm verzerrte Fu Long das Gesicht, als etwas nach ihm griff und einen Teil seiner Macht nahm. Als Nächstes ereilte Kooranovian das gleiche Schicksal. Seine Krallen gruben sich in Zamorras Hand. Der biss die Zähne zusammen, als auch er seinen Anteil an dem Spruch leisten musste.
    Plötzlich hatte der Parapsychologe den Eindruck, die Welt aus drei verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen. Er sah sich selbst durch Fu Longs Augen, durch die des Tigers und sie durch seine eigenen.
    Es war ein verwirrendes Erlebnis. Auch die anderen schienen darunter zu leiden. Der Vampir taumelte, und der Tiger schüttelte irritiert den Kopf, was das Problem für Zamorra noch steigerte.
    Es gelang ihm nur unter großen Mühen, die lateinische Formel zu beenden.
    Und dann war es so weit.
    Zamorra, Fu Long und Kooranovian verschmolzen.
    Und sahen…
    ***
    Nicole hörte die Schritte, noch bevor die Gestalt um die Ecke des Korridors bog.
    Sie stieß Wrishta zur Seite und sprang vor. Der Mann riss überrascht die Augen auf. Der Tritt traf ihn auf Höhe des Brustbeins und warf ihn nach hinten.
    Bloß nicht schreien, dachte Nicole, als sie sah, wie er den Mund öffnete. Sie setzte sofort nach, hechtete nach vorne und hieb ihm die Faust gegen die Schläfe.
    Der Unbekannte, ein hagerer, älterer Neandertaler, schloss den Mund mit einem leisen Seufzer. Sein Körper wurde schlaff.
    Nicole winkte Wrishta zu sich. Die junge Frau zeigte auf den Mann und nannte einen Namen, den Nicole nicht verstand. Anscheinend kannte sie ihn.
    »Eine große, glückliche Familie«, murmelte sie ironisch.
    Nicole konnte nicht sagen, warum sie plötzlich ein so ungutes Gefühl verspürte. Bis jetzt hatte sie keine Probleme bei ihrem Gang durch den Turm gehabt, aber etwas sagte ihr, dass sich das bald ändern würde.
    Sie ergriff Wrishtas Hand und zog sie von dem bewusstlosen Neandertaler weg.
    »Komm«, sagte sie. »Zeig mir den Weg.«
    Wrishta schien zu verstehen, was sie meinte.
    Sie liefen
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